Gegen Sicherheitswahn, Kapital und Rechtsruck
Der gesamtgesellschaftliche Rechtsruck läuft seit nunmehr einem halben Jahrzehnt. Einem halben Jahrzehnt, in dem eine Schweinerei auf die nächste folgte.
Angefangen mit rechten Straßenmobs folgte Pogrom auf Asylrechtsverschärfung und die Grenzen des politisch Sagbaren wurden neu gesteckt. Ob es nun Relativierungen des NS (Höcke, Gauland) waren oder Forderungen nach Schießbefehl an der europäischen Außengrenze (von Storch). Neben der Abschottung der Festung Europa nach außen stieg auch die Repression nach innen. CDU & SPD geben sich alle Mühe, ihre Stichwortgeber*innen von AfD & Co. rechts zu überholen. So erfolgten nicht nur zahllose Verschärfungen des Asylrechts, sondern eben auch ein Ausbau des Polizeiapparats sowie entsprechend härtere Gesetze.
Auf die Verschärfungen der Paragraphen 113 und 114 StGB (Widerstand/tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte) im Jahr 2017, die kleinste Reaktionen auf Polizeigewalt unter Strafe stellten, folgten krönend neue Polizeigesetze. Mögen diese auf Landesebene verschieden sein, eint sie doch ein autoritärer Rahmen, der sich gegen Migrant*innen, Obdachlose, Linke und andere richtet, die dem sauberen Weltbild nicht entsprechen und vor allem die Ängste jener Bürger*innen bespielt, die befürchten nicht mehr Herr im nationalen Haus zu sein. Um die Ängste von Migrant*innen, Jüd*innen oder Muslim*innen vor rassistischen oder antisemitischen Gewalttaten ging es hier nie. Ebenso wenig um ein Auffangen realer Existenzängste.
Als politische Akteurin kam und kommt der Polizei selbst in dieser Gemengelage eine besondere Rolle zu.
Als Stichwortgeberin in der Politik: Mit dem Gerede vom schwindenden Respekt gegenüber Beamt*innen rannten sie und ihr wichtigster Vertreter in deutschen Talkshows – Rainer Wendt – bei den Autoritären in politischer Verantwortung offene Türen ein. Einem Herbert Reul ist das eine willkommene Vorlage, um den Maßnahmenstaat – also einen Staat, der Maßnahmen verhängt, die seiner politischen Zweckmäßigkeit entsprechen, statt soziale Probleme tatsächlich anzugehen – weiter auszubauen.
Auch jenseits dieser Funktion ist die Polizei nicht die gesellschaftlich neutrale Institution, als die sie sich in Zeiten neoliberaler Hegemonie ausgibt. Verkauft sie sich nach außen als Querschnitt der Gesellschaft, ist sie doch diejenige Institution, die soziale Konflikte der bürgerlichen Gesellschaft im Zweifel gewaltsam befriedet und die Spirale der Gewalt damit nach oben zuspitzt. Konkret bedeutet das einerseits die Bekämpfung von Armut, angefangen bei einfacher Beschaffungskriminalität, über die Vertreibung von Obdachlosen aus den Innenstädten, bis hin zur Errichtung von Sperrzonen, ähnlich der in Göttingen, bei der unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung ein ganzer Wohnblock unter Quarantäne gestellt wurde und man sich die Frage stellt, ob man in einem reichen Viertel ebenso rigoros vorgegangen wäre.
Auf der anderen Seite steht die Einhegung jeglicher Proteste, die gesellschaftliche Missstände konsequent anprangern. Seien es Demonstrationen von FFF, Ende Gelände, BLM oder diejenigen gegen den G20-Gipfel 2017. Was diese Bewegungen bei aller Unterschiedlichkeit eint neben ihrem Kampf für eine gerechtere Gesellschaft, ist auch die Erfahrung, schonmal von der Polizei angegriffen worden zu sein.
An diese Entwicklungen schließt das jetzt geplante NRW-Versammlungsgesetz an und gibt somit das Sprungbrett, die autoritäre Formierung auf die nächste Stufe zu heben. Wo das Polizeigesetz vor allem den Alltag durch willkürliche Kontrollen, martialischere Ausstattung und härtere Strafen beeinflusst hat, stellt das Versammlungsgesetz ein Werkzeug zur Be- und/oder Verhinderung von konsequentem Protest dar.
Konkret sollen die bürokratischen Hürden für Anmeldungen erhöht werden: Unter anderem soll eine telefonische Anmeldung nicht mehr möglich sein; diese muss nun schriftlich erfolgen, wobei Wochenenden in der neuen Frist nicht berücksichtigt werden.
Bei einer Gefährdungslage soll die Polizei außerdem Namenslisten von Ordner*innen anfordern dürfen – wie sich eine Gefährdungslage jedoch definiert, ist nicht näher festgelegt und bleibt somit Auslegungssache der Einsatzleitung. Namenslisten von (linken) Aktivist*innen an die Polizei geben zu müssen, wäre für sich genommen schon gefährlich genug, zeigen nicht zuletzt die SoKo LinX in Leipzig, Verhaftungen der AntifaschistInnen Dy, Lina, Jo und Findus oder die Hausdurchsuchungen beim Roten Aufbau in Hamburg Ende August, dass der Staat den Feind politisch links verortet und der NSU 2.0 in Hessen, wie mit den Daten, welche die Polizei erhebt, umgegangen wird. Auch gemessen an den zahlreichen neonazistischen Chatgruppen bei der Polizei – gerade auch in NRW – geht die Gefährdungslage hier eindeutig von der Polizei aus.
Dementsprechend ist auch die geplante Erlaubnis von sogenannten Übersichtsaufnahmen ein Angriff auf das Recht, anonym an Demonstrationen und Kundgebungen teilzunehmen und eine Gefährdung der Demonstrationsteilnehmer*innen.
Weiterhin sollen die Störung, Vereitelung oder Behinderung nicht verbotener Versammlungen ebenso unter Strafe gestellt werden wie auch die bloße Vorbereitung oder Einübung von Störungshandlungen. Konkret: Blockaden und Blockadetrainings werden verboten, unter Strafe gestellt und den Faschist*innen einmal mehr die Rosen auf den Weg gestreut.
Auch wenn die CDU öffentlich das Gegenteil über ihr Gesetz behauptet und beispielhaft die Bekämpfung von „rechtsextremen“ Demonstrationen anführt, wissen wir, dass der Staat kein Partner im Kampf gegen Nazis ist. Das zeigte sich nicht erst zuletzt bei laufenden Corona-Rebellen in Stuttgart, Kassel und Berlin.
Zusätzlich trumpft das neue Versammlungsgesetz mit einem „Militanzverbot“ auf: Gemeint ist ein Verbot von Uniformierungen oder uniformähnlichem Auftreten, die durch paramilitärisches Auftreten oder in anderer Weise Gewaltbereitschaft vermitteln oder einschüchternd wirken könnten. Auch hier findet sich keine nähere Ausführung, was eigentlich gemeint ist und bleibt damit wohl Auslegungssache des gewaltbereiten blauen Blocks. Antifas, die Seebrücke in orange oder Gewerkschaften mit ihren Westen tragen als Ausdruck einer gemeinsamen Gesinnung oder als Selbstschutz ähnliche Kleidung.
Nicht zuletzt, sondern mit als erstes wird dieses Militanzverbot die Genoss*innen von Ende Gelände treffen, deren weiße Maleranzüge zum Markenzeichen der radikalen Klimabewegung in der BRD geworden sind. Deren Protest Energieriesen wie RWE schon mehrfach dazu gezwungen hat, ihre lebensfeindliche Produktion zeitweise einzustellen. Solchen entschlossenen Aktionen ist es zu verdanken, dass die Klimabewegung die Systemfrage wieder auf die Agenda gesetzt hat. Gepaart mit Fragen nach Enteignungen im Wohnungssektor und Kämpfen gegen eine strukturell rassistische Staatsmacht, die durch die Black Lives Matter-Bewegung im Sommer erneut aufgetan wurden, entsteht hier das Potential, diese Gesellschaft in ihrer grundsätzlichen Beschaffenheit in Frage zu stellen. Wo unter Anderem das Privateigentum, Rassismus und Patriarchat die Grundpfeiler der bürgerlichen Gesellschaft bilden, tun sich Bewegungen auf, die weh tun und sie in Frage stellen (können).
Während man in der BRD versucht, solchen Bewegungen mit diesem neuen VersG beizukommen, steht auch in Großbritannien ein neues Polizeigesetz an, welches zivilen Ungehorsam mit drakonischen Strafen überzieht und mit neuen „Anti-Nomaden“-Paragrafen eine rassistische Wendung gegen Sinti*zze, Rom*nija und Traveller Communities enthält. Parallel dazu beschließt die polnische Regierung einen Angriff auf weibliche Körper und die Selbstbestimmung der Frau. Auch in Griechenland spitzt sich die Lage unter dem Diktat der konservativen Regierung Mitsotakis weiter zu und erstmals seit dem Ende der Militärdiktatur dringt die Polizei wieder in Universitäten ein. In Frankreich begegnete man den Protesten der Gilets Jaunes mit Gummigeschossen und der Fortführung des Ausnahmezustands.
Diese Verschärfungen folgen auf erfolgreiche soziale Kämpfe der letzten Jahre und entsprechen der staatlichen Maxime, den kapitalistischen Status Quo weiter aufrecht zu erhalten. Die Interessen des Kapitalismus‘, die von Neonazis und der AfD werden über die Dringlichkeit sozialer Kämpfe gestellt. Dieses Versammlungsgesetz ist ein Angriff auf eine bessere Zukunft, die zu erkämpfen es noch gilt. Deshalb wollen wir kein entschärftes oder besseres Versammlungsgesetz – sondern gar keins!