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Gegen den Status quo und seine weitere Verschlechterung
Vor den Toren und Häfen Europas geht das massenhafte Sterben täglich weiter. Im Innern der Festung schreiben die Faschist_innen derweil eifrig Todeslisten und packen ihre Munitionskisten. Das ist die Situation, in der diesen Herbst in Sachsen, Brandenburg und Thüringen gewählt wird. Und die zu erwartenden Ergebnisse bedeuten eine nicht unwahrscheinliche Regierungsbeteiligungen für die AfD.
Die personelle Zusammensetzung der AfD aus Burschenschaftern, Identitären, Männerrechtlern und ehemaligen Unionspolitiker_innen ist einerseits nur Ausdruck reaktionärer Ideologien. Aber allen, die es wissen wollen, ist bekannt: Die AfD ist organisatorisches Zentrum einer neuen faschistischen Bewegung. Ihr Aufstieg ist auch Resultat eines untoten Neoliberalismus, dessen Durchhalteparolen nicht mehr greifen. Merkel und Macron haben zwar noch viele Fans, aber ihre Hegemonie wird von rechts herausgefordert. Der Lack ist ab und die Widersprüche spitzen sich zu. Soziale Unsicherheit hat sich hierzulande in einer prekären Vollerwerbsgesellschaft verstetigt und die Vermögensverteilung polarisiert sich von Jahr zu Jahr – der Trend geht zu Zweityacht und Zwangsräumung. Den notwendig produzierten Ausschlüssen wird mit dem klassischen Ensemble aus Sicherheit, Ordnung, Staatsgewalt begegnet, soziale Probleme sollen polizeilich gelöst werden. Auf globaler Ebene verursacht der zwar krisenhafte, aber nach wie vor als alternativlos beworbene Neoliberalismus noch weit größeres Elend. Nicht nur von der Reichtumsverteilung, sondern auch von den ersten Folgen des Klimawandels, von Bürgerkriegen und Epidemien sind die Menschen der südlichen Halbkugel häufiger und stärker betroffen. Aggressive Exportwirtschaft, neokoloniale Ausbeutungsverhältnisse und Raubbau natürlicher Ressourcen sind Grundlagen unserer Lebensweise, egal ob sie von Luxusautos oder Billigfleisch gekennzeichnet ist. Wir leben nicht über unsere Kosten, sondern auf Kosten von anderen. Ein Slogan vergangener Refugee Proteste brachte den Zusammenhang zwischen imperialer Lebensweise und Fluchtursachen auf den Punkt: We are here, because you destroy our countries!
All dieses unnötige Leid ist zugleich notwendiges Element kapitalistischer Produktionsweise und der dazugehörigen Politik, die den Rahmen der Akkumulation organisiert. Hierzulande sind das zuvorderst die Großkoalitionäre von SPD und Union. Danke für nichts!
Aber mit der multiplen Krise von Politik, Ökonomie und Umwelt treten (weltweit) neue Stichwortgeber ins Rampenlicht. Die AfD und andere reaktionäre Kräfte bringen neue Dynamiken in die Politik. Das rechte Hegemonieprojekt verspricht wieder Ordnung in den Laden zu bringen oder im Zweifelsfall wenigstens die Privilegien der Nordhalbkugel rassistisch abzusichern. Die Neoliberalen treten angesichts dessen ihrerseits noch etwas autoritärer und rassistischer auf als üblich. Ob sie dies tun, weil die Zeit dafür günstig ist, oder ob sie sich dazu genötigt sehen, um wenigstens noch die laufende Legislatur durchzustehen, ist in der Konsequenz egal.
Die AfD greift die Frustrationserfahrungen des kapitalistischen Alltags auf, leugnet aber die Widersprüche, die ihnen zugrunde liegen. Ihr Erfolg ist nicht mit Verelendungstheorie zu erklären, und niemand wählt die AfD wegen ihrer (ohnehin nicht vorhandenen) sozialpolitischen Versprechen. Die AfD verlagert vielmehr Konflikte auf ein anderes Terrain und kulturalisiert und ethnisiert sie in ihren vermeintlichen Lösungsansätzen. Wer vom Volk spricht, spricht nicht von Klassen. Es geht ihr um schützenwertes Innen und Bedrohung von außen, um Heimat und Überfremdungsparanoia. Sie betreibt völkische Politik, vertritt deutsch-nationalen Geschichtsrevisionismus, möchte Gender Studies und Antifa verbieten, leugnet den Klimawandel, will alleinerziehenden Frauen die finanziellen Grundlagen entziehen und auf Migrant_innen an der Grenze notfalls schießen. All das sagt sie offen. Für ihre Kulturkämpfe kann sie am bizarren Alltagsverstand vieler ansetzen und muss dafür oft nur die hegemoniale Meinung leicht zuspitzen. Schließlich verspricht die Identifikation mit der Nation Orientierung in unübersichtlichen Zeiten. Auch an die Unterscheidung zwischen einer zu schützenden Bevölkerung aus Leistungsträgern und Steuerzahlern und dem Repression und Jobcenter ausgesetzten Rest lässt sich anknüpfen.
Zwar präsentiert sich der neue Faschismus als Alternative zum neoliberalen Status quo, er ist aber vielmehr dessen Produkt. Er ist Ergebnis einer Allgegenwärtigkeit des Kapitals, durch die er sich als einzig
mögliche Welt präsentiert – auch weil keine erstrebenswerte Alternative verfügbar scheint.
So weit, so schlecht. Zur vollständigen Situationsbeschreibung gehört aber auch, dass wir in den letzten Wochen und Monaten für Seebrücke, Feminismus und Klimagerechtigkeit auf die Straßen gegangen sind und uns den Faschist_innen in den Weg gestellt haben, wo wir konnten. Wir brauchen keine neuen Polizeigesetze, sondern Verhältnisse, die nicht ständig Menschen marginalisieren und kriminalisieren. Wir brauchen auch keine Spaltung in multikulturelle urbane Milieus und Dorfbewohner_innen in vom Kapital verwüsteten Landstrichen, sondern kostenlose Züge, die uns zusammenbringen. Es geht um Infrastrukturen, und nicht um Habitus. Und wir brauchen Wohnungen. Zum leben und nicht als Anlageobjekte.
Aber leider bleiben unsere Kämpfe meist isoliert. Das können wir uns als Linke angesichts der historischen Situation nicht leisten. Es kommt jetzt darauf an, in unseren alltäglichen Kämpfen unteilbar zu sein und zum Beispiel als Antifaschist_innen mit antirassistischen Strukturen verbindlich zusammenzuarbeiten oder die Leute in Sachsen nicht nur alle zwei Jahre zu einem Großevent zu besuchen. Denn Sachsen ist nicht die hängengebliebene rechts-konservative Vergangenheit, sondern ein Versuchslabor, das Ausblick in eine mögliche faschistischen Zukunft gibt, in der es für Migrant_innen, Linke oder Frauen nichts zu lachen gibt. Dieses Labor – um im Bild zu bleiben – gilt es kaputt zu machen.
Dafür reicht es nicht, nur dringend notwendige Abwehrkämpfe zu führen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Selbstverständlich gilt es gegen Faschist_innen aktiv zu sein, immer und überall, auf allen Ebenen und mit allen Mitteln. Aber wir müssen als Linke und Linksradikale unteilbar sein und uns etwas trauen, um die politisch aufgeheizte Situation in eine andere Polarisierung zu überführen. Jenseits von untotem Neoliberalismus einerseits und faschistischen Erweckungsphantasien andererseits müssen wir eine glaubhafte wirkliche Alternative aufzeigen. Wir brauchen ein Projekt! Als Linke haben wir es da schwerer als die Faschisten. Denn das Projekt des Faschismus ist kein Projekt, im Sinn eines Entwurfs der Zukunft. Das Angebot von Gauland, LePen und Salvini hat als kulturellen Horizont nur die Produktions- und Lebensweise aus den 1950ern zu bieten, wenn nicht Schlimmeres. Trump, Orban, Erdogan und Bolsonaro führen uns vor Augen, wie mit einer Gleichschaltung von Medien und Universitäten darauf hingearbeitet werden soll.
Wir hingegen wollen Internet in Rätehand ohne Staat und Kapital, die ganze Bäckerei. Die viel gelobte Demokratie auch in Fragen der Ökonomie und Ökologie.Die kommenden Generationen werden sonst voraussichtlich auf einem von Klimakatastrophen verwüsteten Planeten um die letzten Süßwasservorräte kämpfen müssen. Länger schlafen, weniger schuften. Offene Grenzen auf der Erde und zwischen den Geschlechtern und ein Leben ohne Angst für alle: Kommunismus statt Altersarmut. Communism for future.
Also kommt mit uns am 24. August nach Dresden und zeigt Solidarität mit den Genoss_innen, die in Mordor die Fahne hoch halten. Gegen neoliberale Zustände und neuen Faschismus. Für ein ganz anderes Ganzes.
Habt keine Angst! Die Zukunft gehört uns, wenn wir kämpfen. Zusammen unteilbar, solidarisch antifaschistisch.
…ums Ganze! – kommunistisches Bündnis im August 2019