Meinungsfreiheit für Nazis?
Theoretische Überlegungen zum praktischen Vorgehen gegen rechte Stände auf der (Leipziger) Buchmesse
von the future is unwritten – Leipzig
Die teils handfesten Auseinandersetzungen um die Stände rechter Verlage auf der Frankfurter Buchmesse lassen ahnen, was aller Voraussicht nach auf der Leipziger Buchmesse vom 15. bis zum 18. März 2018 los sein wird. Bereits jetzt ist klar: die Buchmesse hat vor den rassistischen Verlagen »Antaios« und »Junge Freiheit« Stände zu gewähren. Weiterhin gibt es das Potenzial für einen massiven antifaschistischen Widerstand – und wir freuen uns darauf, dass Leipziger Antifaschist_innen ihre Möglichkeiten ausschöpfen werden. Ziel antifaschistischer Praxis muss es sein, Rechten die Bühne zu verwehren und den Veranstalter_innen der Buchmesse praktische Anreize zu geben, die rassistischen Fans patriarchal-autoritärer Zustände beim nächsten Mal nicht mehr einzuladen.
Aus den Erfahrungen um erfolgreiche antifaschistische Interventionen gegen die Normalisierung rechter Positionen in der Öffentlichkeit ziehen wir den Schluss, dass auch rund um die Leipziger Buchmesse eine Debatte um das Thema Meinungsfreiheit für Nazis nicht ausbleiben wird. So war es als unsere Kölner Genoss_innen den Auftritt von Konrad Adam (AfD) beim Birlikte-Festival verhinderten und so war es, nachdem Antifaschist_innen die rechte Show auf der jüngsten Frankfurter Buchmesse erheblich störten. Eine hoffentlich wirksame antifaschistische Intervention auf der Buchmesse in Leipzig würde in der lokalen Öffentlichkeit vermutlich Reaktionen wie die des Autors und ex-Verlegers Ernst Piper hervorrufen. Dieser tat in der »WELT« kund, dass solange rechte Verlage „sich im Rahmen unserer Gesetze bewegen“, der Kampf gegen sie einer sei, „der mit geistigen Waffen auszufechten ist.“ Denn, so Piper:
„Das gesprochene wie das geschriebene Wort, seine Verbreitung und alles, was damit zu tun hat, der herstellende wie der verbreitende Buchhandel, sind untrennbar mit der Freiheit der Meinungsäußerung und dem Kampf für die Verteidigung dieser Freiheit verbunden. Und die Freiheit der Meinungsäußerung gilt eben nicht nur für Meinungen, die uns sympathisch sind.“ – Ernst Piper: Meinungsfreiheit gilt auch für unsympathische Meinungen, am 16.10.2017 in der »WELT«
Positionen wie diesen haben in der letzten Ausgabe des Antifaschistischen Infoblattes Alice Blum, Maximilian Pichl und Tom David Uhlig entgegengehalten, dass die Frage der Störung rechter Stände auf Buchmessen „keine Frage der Meinungsfreiheit“ sei. Öffentliche Debatten, so die Autor_innen, seien ohnehin herrschaftsförmig und würden bestimmte Bevölkerungsgruppen strukturell benachteiligen. Dementsprechend sei es verkehrt zu fordern, dass rechte Positionen – also Positionen, die einem privilegierten Teil der Bevölkerung nutzen – „öffentlich mehr Gehör finden müssten“. Mit Rechten zu diskutieren sei überdies als Strategie von vornherein zum Scheitern verurteilt, denn:
„Einerlei, ob Akteur*innen der Neuen Rechten sich öffentlich blamieren, indem ihnen die Argumente ausgehen oder sie sachlich widerlegt werden, ihre Propaganda unterbreitet ein affektives Angebot, welches sich um Fragen der logischen Widerspruchsfreiheit etc. gar nicht zu scheren braucht. Eine logische Widerlegung von rechten Akteuren läuft ins Leere, denn ihr Ziel besteht darin, Ressentiments ausbreiten zu können.“ – Alice Blum, Maximilian Pichl und Tom David Uhlig: Rechte reden lassen?, in AIB 117/Winter 2017
Wir stimmen der Analyse der Autor_innen im Ergebnis zu: es ist politisch falsch mit Nazis (und anderen Rechten) zu diskutieren. Wir haben nicht das geringste Mitleid, wenn sie von herrschaftsförmigen Diskursen profitieren und sich dabei noch als Opfer linken Gesinnungsterrors inszenieren. Und dass mit ihnen auf einer rationalen Ebene nicht zu reden ist, könnte nicht offensichtlicher sein. Doch in einem Punkt – und diesen halten wir für essentiell – möchten wir den Genoss_innen entschieden widersprechen: in der Tat ist die Frage von antifaschistischen Interventionen gegen rechte Infostände/Kundgebungen/Aufmärsche eine Frage der Meinungsfreiheit. Wir denken, dass Ernst Piper Recht hat, wenn er sagt, dass Meinungsfreiheit „auch für unsympathische Meinungen“ gilt. Und wir stehen hinter dem Prinzip der Meinungsfreiheit. Eine befreite Gesellschaft ohne Meinungsfreiheit wäre nicht befreit. Überdies wäre eine radikale Selbstorganisation von Institutionen und Ökonomie von unten ohne die freie Debatte nicht zu bewerkstelligen. Und dennoch finden wir es richtig, rechte Infostände abzuräumen. Wie wir diese Auffassung begründen, warum wir sie für wichtig halten und was aus unserer Sicht daraus folgt, wollen wir im Folgenden darstellen.
Ziehen wir noch einmal Blums, Pichls und Uhiligs Argument heran, mit Rechten zu diskutieren sei sinnlos, weil ihre Ideologie ohnehin auf irrationalen Grundannahmen basiere. Wie erwähnt halten wir das für eine absolut richtige inhaltliche Einschätzung. Problematisch ist jedoch, dass sie diesen Schluss auf die Ebene der Meinungsfreiheit übertragen: „Dabei garantiert Meinungsfreiheit nicht, dass jede extrem rechte Propaganda überall und ungestört verbreitet werden darf“. Sehen wir mal davon ab, dass eigentlich noch genauer zu klären wäre, was „ungestört“ an dieser Stelle bedeuten soll. Unser hauptsächliches Problem mit dieser Aussage ist, dass es für die Meinungsfreiheit als formale Bestimmung für die öffentliche Debatte grundsätzlich keine Rolle spielen kann, ob es sich bei einer bestimmten Meinung um „extrem rechte Propaganda“ handelt. Meinungsfreiheit bedeutet gerade, dass grundsätzlich aus dem Inhalt einer Meinung nicht abgeleitet werden darf, ob es erlaubt ist, sie zu äußern oder nicht.
Es gibt zahlreiche gute Gründe dafür, dass dieses Prinzip aufrechterhalten bleibt: zum Beispiel die Frage, wer denn entscheiden solle, welche Meinung geäußert werden darf und welche nicht. Oder die Frage der Abgrenzung: wenn faschistische oder nationalsozialistische Meinungsäußerungen verboten werden würden – auf welcher Grundlage werden dann rechtskonservative erlaubt? Im Zweifelsfall würde eine solche Abgrenzung den nicht-verbotenen Meinungen eine gesellschaftliche Legitimität verleihen, die sie eigentlich nicht haben. Kontinuitäten wie etwa die zwischen Faschismus und Konservatismus, Arbeitsethos und Sozialrassismus, Zinskritik und Antisemitismus würden auf diese Weise in der Debatte schwer erkenntlich.
Die argumentativen Versuche der AIB-Autor_innen eine Form der Meinungsfreiheit zu konstruieren, die es Antifaschist_innen erlaubt rechte Infostände und Versammlungen zu verhindern, müssen scheitern. Wenn sie argumentieren, die „Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, dass die Bürger*innen vor Eingriffen des Staates schützt und einen Kommunikationsraum etabliert, in dem demokratische Argumente ohne Gewalt ausgetauscht werden sollen“, dann vergessen sie dabei einen entscheidenden Punkt. Meinungsfreiheit ist in einem Staat erst dann gegeben, wenn dieser seine Bürger_innen notfalls auch mit Gewalt davor schützt, dass ihre freie Meinungsäußerung maßgeblich eingeschränkt oder unterbunden wird. Andernfalls ließe sich nur schwer begründen, warum beispielsweise der russische Staat dafür zu kritisieren sei, dass er offen zugibt, Zeitungsredaktionen nicht vor Anschlägen und Übergriffen durch politische oder mafiöse Strukturen zu schützen.
Auch wenn wir denken, dass die benannten Argumente in Bezug auf die Meinungsfreiheit nicht funktionieren, können wir den Antrieb der Autor_innen verstehen. Es geht um die Harmonisierung von zwei einander widersprechenden normativ-politischen Prinzipien: 1. Meinungsfreiheit, 2. einer öffentlichen Debatte ohne Diskriminierung, Hetze und der Forderung nach Ausgrenzung. Wir können verstehen, dass es den Autor_innen (und vielen anderen Genoss_innen) wichtig ist, diese Prinzipien im Hier und Jetzt miteinander zu harmonisieren. Allerdings würde dies zu Lasten einer realistischen Theorie der Meinungsfreiheit gehen – und diesen Anspruch teilen wir ja vermutlich mit den AIB-Autor_innen und den meisten unserer Genoss_innen: Eine logisch widerspruchsfreie Theorie der Realität, die die Verhältnisse verständlich macht, anstatt sie zu verklären.
Wenn wir diesen normativ-politischen Widerspruch auf der Ebene einer realistischen Theorie der Meinungsfreiheit nicht auflösen können, müssen wir auf andere Ebenen gehen. Und zwar auf die unserer politischen Zielstellung: wir stehen für Kommunismus ein. Damit ist eine Bewegung gemeint, die darauf hinstrebt alle menschlichen Verhältnisse der gesellschaftlichen Debatte und Planung zu unterwerfen. In der die Produktion, die Reproduktion, die Verwaltung und die Sicherheit radikal selbst organisiert und von der Basis kontrolliert sind. Also eine Gesellschaft ohne Kapitalverhältnis und auch ohne Nationalstaat. Mit anderen Worten: Wir wollen Konservativen, Rechtspopulist_innen, Nazis, Faschist_innen und wie sie alle heißen ihre Geschäftsgrundlage entziehen. In dem Moment, wo rechte Ideologie keine Entstehungsgrundlage mehr hat, werden auch die politisch-normativen Ziele Meinungsfreiheit und diskriminierungsfreie öffentliche Debatte miteinander harmonisiert.
Da dieser gesellschaftliche Zustand nicht im Ansatz realisiert ist, folgt aus dieser Feststellung ein Blick auf die Ebene der Strategie. Rechte haben das Ziel die Möglichkeit sozialer Befreiung und Selbstbestimmung im Keim zu ersticken. Wenn sie Meinungsfreiheit bekommen, werden sie diese für den Versuch nutzen, ein Regime zu errichten, in dem keine freie Debatte, keine Rationalität und keine allgemeine Teilhabe mehr möglich sein wird. Moralisch und mit Hinblick auf unsere politischen Zielstellungen wäre das dermaßen desaströs, dass jegliche rechte Machtübernahme bereits in den Ansätzen mit allen Mitteln verhindert werden muss. Für uns folgt daraus also, dass wir mit unserem normativ-politischen Bekenntnis zur Meinungsfreiheit aus strategischen Gründen vorläufig und in einem bestimmten Punkt (rechte, sexistische Ideologie) brechen müssen.
Da wir keinen Staat wollen, der anfängt Meinungsäußerungen auf Zulässigkeit zu prüfen und da wir nicht erst sein dem Indymedia-Linksunten-Verbot wissen, dass sich staatliche Zensur jederzeit auch gegen uns richten kann, fordern wir in keinem Fall, dass der Staat diesen Bruch mit der Meinungsfreiheit vollzieht. Wir schlagen vor: Wir verhindern rechte Kundgebungen, Demos und Stände – aber sind uns dabei im Klaren, dass wir dabei vorläufig mit unseren eigenen politsch-normativen Standpunkten brechen. Die Intervention gegen die Stände rechter Verlage auf der Buchmesse begreifen wir folglich auch nicht wie Blum, Pichl und Uhlig als „Bestandteil der Meinungsäußerung und […] Kampf um politische Deutungshoheiten“. Nein, im besten Fall machen Antifaschist_innen den Rechten praktisch klar, dass sie in Zukunft besser auf ihre Meinungsäußerungen verzichten.