Aufruf zur Kampagne »Nationalismus ist keine Alternative« für das Landtagswahljahr
„Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.“ – Theodor W. Adorno: Minima Moralia (Hans-Guck-in-die Luft)
Noch vor sechs Jahren hätte es niemand für wahrscheinlich gehalten, dass sich die tagespolitische Situation in einer solchen Geschwindigkeit zum negativen entwickeln würde. Zwar hatten Antifaschist_innen immer wieder auf die weite Verbreitung von rassistischen und sexistischen Einstellungen in der deutschen Bevölkerung hingewiesen. Eine rechte Partei hätte ein enormes Wähler_innenpotenzial, wenn sie denn diskursiv anschlussfähig und organisatorisch gut genug aufgestellt wäre, bescheinigte auch der Soziologe Wilhelm Heitmeyer in seiner jährlichen Studie »Deutsche Zustände«. Der »Alternative für Deutschland« ist es seit 2013 gelungen, genau dieses Potenzial erfolgreich in Wähler_innenstimmen umzumünzen. Angefangen mit der Hetze gegen die angeblich faulen „Pleitegriechen“, die mit deutschen Krediten vor allem auch deutsche Waren importierten, stellte sich die AfD als „Anti-Euro-Partei“ auf. Im Laufe ihrer kurzen Geschichte folgte nicht nur ein Wahlsieg auf den nächsten, sondern auch Rechtsruck auf Rechtsruck. Der erste große Rechtsruck manifestierte sich durch die Wahl der sächsischen Parteivorsitzenden Frauke Petry zur Bundesvorsitzenden nach einer Kampfkandidatur gegen den bisherigen Vorsitzenden Bernd Lucke. Doch selbst Petry war der Partei schon bald nicht mehr rechts genug. Und je mehr die Partei sich öffentlich mit rassistischer Hetze präsentierte, desto stärker manifestierten sich ihre Wahlerfolge. Nachdem anfänglich überhaupt der Einzug in Europaparlament und Landtage als Erfolg gefeiert wurde, erreichte man bald knapp 25% bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt und landete bei der vergangen Bundestagswahl in Sachsen sogar vor der CDU auf Platz 1. Während sich dieser parlamentarische Rechtsruck in Deutschland vollzog, verschärfte der sich schon lange abzeichnende europäische Rechtsruck um ein weiteres. Und so ist im Jahr 2019 die Möglichkeit einer rechtsradikalen Regierungsbeteiligung auf Landesebene kein unrealistisches Szenario mehr. Die Situation in Österreich zeigt, was auch in Sachsen bereits bald Realität sein könnte. Das ist die politische Situation aus der wir als radikale Linke und Antifaschist_innen heraus derzeit agieren müssen.
Rechte Hetze in den Parlamenten
Und tatsächlich bewirkt die Präsenz der AfD in den Parlamenten etwas. Debatten, die bislang mit einer gewissen bürgerlich-zweckrationalen ‚Sachlichkeit‘ geführt wurden, arten gegenwärtig oftmals in polemische Wortschlachten aus. Dabei geraten auch früher einmal sicher geglaubte menschenrechtliche Mindeststandards wieder unter Rechtfertigungsdruck. So zum Beispiel bei der jüngsten Debatte um den Paragraphen 218a StGB, der die so genannte „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt. Die AfD nutzte diese, um der Agenda der selbsternannten »Lebensschützer«, einer Bewegung aus christlichen Fundamentalist_innen, Sexist_innen und Reaktionären, eine öffentliche Bühne im Bundestag zu verschaffen. Selbst linksliberale Abgeordnete sahen sich genötigt, ihr Eintreten für menschenrechtliche Mindeststandards für Frauen argumentativ zu rechtfertigen und gegen den „Schutz ungeborenen Lebens“ abzuwägen.
Sachsen – ein Teil des Problems
So gravierend die Veränderungen auf der politischen Bühne in Gesamtdeutschland sind, umso stärker lassen sie sich in Sachsen beobachten. Hier waren Rassismus und Neonazismus seit den 1990er Jahren besonders stark ausgeprägt. Ob bei den Pogromen von Hoyerswerda, der Wahlerfolge der NPD Anfang bis Mitte der 2000er Jahre, oder durch die über 20-jährige Regierung der CDU, die den Sächs_innen in dreist faktenwidriger Manier bescheinigte, „immun gegen Rechtsextremismus“ zu sein: Sachsen ist schon lange ein ganz besonders reaktionärer Fleck Deutschland. Umso berechtigter ist die Sorge, dass Sachsen eine Vorreiterrolle im Rechtsruck einnehmen wird und als erstes Bundesland einer schwarz-blauen (oder blau-schwarzen) Landesregierung ins Amt verhelfen wird. Die besondere Stärke der AfD in Sachsen ist mitunter auch Ergebnis einer ostdeutschen Spezifik, die sich aus den autoritären Verhältnissen und der Leugnung rechter Tendenzen innerhalb der DDR-Gesellschaft, der marktwirtschaftlichen Übernahme der DDR und den damit einhergehenden Zusammenbrüche ökonomischer Strukturen und individueller Biographen und letztlich auch dem Einfluss westdeutscher rechtsradikaler Strukturen während der »Wende« speist. Deshalb ist Kritik an sächsischen Verhältnissen zwar auch zu recht Kritik an bestimmten historisch gewachsenen Diskursverhältnissen, gleichzeitig muss sich aber immer auch Kritik an der kapitalistischen Gesellschaftsform sein, die mit Konkurrenz, Individualisierung und Beschleunigung erst die biographischen Unsicherheiten hervorgebracht hat, die viele Menschen anfällig für rechte Ideologie gemacht hat.
Keinen Millimeter rückwärts
Die Verschiebung des gesamtgesellschaftlichen Diskurses nach rechts lässt auch die Linke nicht unberührt. Kämpfe, die bis 2014 noch in der Offensive waren, wie der Kampf von Geflüchteten und radikalen Linken gegen die Festung Europa und das Asylsystem, gerieten im Zuge des Rechtsrucks in die Defensive. Je schärfer die Hegemonie rassistischer, patriarchaler und autoritärer Diskurse ist, desto mehr steigt auch der Druck, Bündnisse mit Sozialdemokrat_innen, Liberalen und demokratischen Konservativen einzugehen. Dabei gilt es jedoch nicht zu verkennen, dass es gerade die kapitalistisch-patriarchale Ordnung ist, deren Krisen immer wieder zu reaktionären Backlashes führen. Die ökonomische Rezession und die damit verbundenen Staatskrisen in Europa im Anschluss an den Finanzcrash von 2008 haben den Standortnationalismus massiv verschärft. Flexibilitätsdruck und Konkurrenz spielen auch Arbeiter_innen gegeneinander aus, anstatt den Klassenkonflikt zur Erscheinung zu bringen. Ökonomische Unsicherheit bedeutet in einer kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaft auch immer eine Krise der Männlichkeit, was sich seit den 90er Jahren verstärkt in Ostdeutschland zeigt. Die vermeintlichen Versorger der Familie stehen den sozialen Verhältnissen vollkommen machtlos gegenüber und sehen ihr damit einhergehendes Selbstbild erodieren. Eine kapitalistische Gesellschaft, in der die Verwertung von Wert der letzte Zweck allen ökonomischen Handelns ist, wird immer derartige Umbrüche, Krisen und Beschleunigungstendenzen hervorbringen. Und der bürgerliche Staat wird bei allen politischen Differenzen zwischen Parteien immer an diesen Zweck gebunden sein: das Fortlaufen der Kapitalakkumulation, das ihm die notwendigen Steuereinnahmen einbringt, um sein Handeln zu finanzieren. Somit ist eine Verteidigung demokratischer Mindeststandards gegen die autoritäre Revolte zwar wünschenswert, auf lange Sicht aber aussichtslos, wenn wir keine Alternative zu Kapitalismus und Patriarchat aufzeigen können. Und diese kann nicht innerhalb des bürgerlichen Staates und des Parlamentarismus erreicht werden. Sich vom Rechtsruck nicht dumm machen zu lassen, bedeutet, diese Erkenntnis nicht zu vergessen, sondern im Gegenteil, sie in das Zentrum unseres politischen Handelns zu stellen. Selbstorganisierte Kämpfe von Geflüchteten, Frauen und Arbeiter_innen sind es, die eine gesellschaftliche Alternative eröffnen und nicht der an Sachzwänge gebundene parlamentarische Betrieb. Nationalismus ist keine Alternative – eine Gesellschaft, die Reproduktion, Produktion und Verwaltung von unten nach oben selbst organisiert schon! Lasst uns gemeinsam im Wahlkampf sowohl der AfD als auch Nationalist_innen und Reaktionären aus anderen Parteien entgegentreten und lasst uns dafür sorgen, dass unsere emanzipatorische Perspektive gegen den von rechts dominierten Wahlkampfzirkus Bestand hat!