Am 14. Oktober wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt. Als außerparlamentarische und radikale Linke kümmern uns solche Daten gemeinhin nicht allzu viel. Wir wissen: Politik ist weit mehr als nur parlamentarische Repräsentation. Unsere politische Praxis ist vielfältig, sie nimmt ihren Ausgang im Alltag und umfasst unser soziales Leben als Ganzes. Als Feminist_innen streiten wir für soziale Beziehungen jenseits sexistischer Ausbeutung und patriarchaler Herrschaftsansprüche, als Antirassist_innen kämpfen wir solidarisch mit und in den Bewegungen der Migration für globale Bewegungsfreiheit jenseits rassistischer Ausgrenzung und mörderischem Grenzregime, als Antikapitalist_innen kämpfen wir für eine kollektive Verfügung über den gesellschaftlichen Reichtum jenseits bürgerlicher Eigentumsordnung und massenhafter Verarmung. Wir sind aktiv für globale Klimagerechtigkeit, unkommerzielle Kultur, Arbeiter_innenrechte, in der Erinnerungs- und Gedenkarbeit, in stadtpolitischen Initiativen, für eine emanzipatorische Bildungspolitik und gegen Militarismus, Überwachung, Polizeistaat, (Post-/Neo-)Kolonialismus, Patriarchat, religiösen Fundamentalismus, Rassismus, Antiziganismus, Antisemitismus und vieles mehr. Nicht zuletzt treten wir als Antifaschist_innen rechten Angriffen und rassistischer Hetze offensiv entgegen.
Aus gutem Grund orientiert sich unsere politische Praxis nicht an den Terminkalendern bürgerlicher Parteipolitik. Und dennoch sind wir der Überzeugung, dass der 14. Oktober für Antifas und radikale Linke in Bayern eine wichtige Rolle spielen wird. Während die AfD gute Chancen auf stabile zweistellige Ergebnisse hat, kämpft die CSU darum, die politische Hegemonie auch im 61. Jahr ihrer Herrschaft im Freistaat zu verteidigen. Nicht unbedingt schöne Aussichten. Mehr als die Wahl selbst, wird der Wahlkampf eine Phase rechter Mobilisierung sein. Einer Mobilisierung von zwei zentralen Akteur_innen des gesellschaftlichen Rechtsrucks in Bayern – und weit darüber hinaus.
RECHTE MOBILMACHUNG
Im September 2015 überquerten tausende Menschen auf der Flucht über Ungarn und Österreich die Grenzen nach Deutschland. Für eine kurze Zeit im Spätsommer hatte die Bewegung der Migration das Dublin-System und mit ihm eine zentrale Säule des repressiven europäischen Migrations-regimes zu Fall gebracht. Es war ein großer Erfolg einer transnationalen Bewegung, die ihr Recht auf globale Bewegungsfreiheit offensiv einforderte und faktisch durchsetzte. Viele Menschen, zum Teil weit über die radikale Linke hinaus, solidarisierten sich mit dieser Bewegung. So widersprüchlich sich diese Solidarität oft äußerte, eröffnete sie doch eine progressive Perspektive für die transnationalen Kämpfe sozialer Bewegungen. Die bayerischen Grenzübergänge zu Österreich waren entscheidende Orte dieser Migrationsbewegung, deren symbolisches Zentrum der Münchner Hauptbahnhof wurde.
Schnell stand die Bewegung der Migration auch im Zentrum der rechten Gegenoffensive. Die vielfältige Solidaritätsarbeit Hunderttausender reichte nicht, ein dauerhaftes Bollwerk gegen den Rassismus aufzustellen. Dass die Stimmung nach den Übergriffen der Kölner Silvesternacht so schnell kippen konnte, lag nicht allein an geschickter und massiver Agitation rechter Akteur_innen. Es lag auch in der sogenannten Willkommenskultur selbst begründet, die Menschen, die die Flucht über das Mittelmeer und den Balkan antraten, weniger als Individuen denn als Kollektivsubjekt imaginierte, dem gemeinsame Eigenschaften zugeschrieben wurden, die sich schnell von der einen (freundlich, dankbar, interessant) in die andere Richtung (übergriffig, rückständig, gefährlich) wenden konnten. Insbesondere die zwischenzeitlich nahezu in der Versenkung verschwundene AfD konnte dies für sich ausnutzen und die Debatten weiter rassistisch zuspitzen.
„Eine Situation wie 2015 darf sich nicht wiederholen und wird sich nicht wiederholen. Dafür stehe ich“, mit diesen Worten bewarb sich Innenminister Joachim Hermann 2017 als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl bei seinen Wähler_innen. Im Wahlprogramm versprach die CSU gar eine „Ordnungsgarantie“: „Wir geben den Menschen die Garantie, dass sich der Zustand vom Herbst 2015 nicht wiederholen wird. Wir haben dazu einen effektiven Maßnahmenplan, unter anderem mit Kontrolle der Binnengrenzen, Reduzierung der Migrationsströme, Obergrenze und die Bekämpfung der Fluchtursachen. Integration muss nach dem Maßstab unserer Leitkultur erfolgen“, heißt es dort. „Die Ordnung“ ist auch der Titel des aktuellen Grundsatzprogramm jener Partei, die bundes- und bayernweit den Rechtsruck am wirkmächtigsten vorantreibt. Dort steht zu lesen: „Entfernt scheinende Entwicklungen haben unmittelbare und mittelbare Auswirkungen auf Europa, Deutschland und Bayern. Wir spüren ihre Folgen als gewaltige Migrationsbewegungen oder gar in Form von Gewalt und Terror.“
Das Motiv des Souveränitätsverlust und der bedrohten Ordnung ist typisch für aktuelle rechte Mobilisierungsstrategien. Der Aufstand des Ingolstädter Modelleisenbahners und Bundes-innenministers Horst Seehofer über die „Herrschaft des Unrechts“ und die beleidigten Rücktrittsdrohungen angesichts seines „Masterplan Migration“ sind dafür nur ein weiteres aus einer langen Reihe von Beispielen. Alle diese Strategien gehen einher mit Forderungen nach Gegenschlag und Bestrafung, Repression und offener Gewalt. Der Bewegung der Migration ist es gelungen, die Ordnung des Migrationsregimes und die Souveränität staatlicher und europäischer Migrationskontrolle ins Wanken zu bringen. Die Verschärfungen des Asylrechts, die intensivierte Militarisierung der „Festung Europa“, die „ANKER-Zentren“ und die staatlicherseits eskalierten, überfallartigen Polizeieinsätze gegen Geflüchtete, wie in Donauwörth und Deggendorf oder auch Ellwangen, sind nicht nur Ausdruck kapitalistischer Verwertungskalküle, rassistischer Ausgrenzung und ordnungspolitischem Kontrollwahns. Sie sind ebenso auch Rache an der Bewegung der Migration und Maßnahmen gegen zukünftige Kämpfe. Die staatliche Gewalt und ihre mediale Inszenierung richten sich nicht zufällig gegen die spontanen Solidarisierungen der Flüchtlinge gegen die Abschiebungen. Diese polizeilichen Übergriffe sind Angriffe auf die Grundlagen und Errungenschaften sozialer Bewegungen und darin exemplarisch für den gegenwärtigen Rechtsruck. Die Frage der Migration ist darin zentral, auch wenn sich der Rechtsruck auf alle Bereiche der Gesellschaft erstreckt – und die kausale Verknüpfung von Migrationsbewegung und terroristischer Bedrohungslage ist seine schäbigste und wirkmächtigste Lüge.
VOM RECHTEN RAND ZUR RECHTEN MITTE
Auch Mobilisierungsstrategien von Akteur_innen rechts der CSU – also dort, wo sich nach Franz-Josef Strauß eine Wand befinden soll – knüpfen an die Schmach des Souveränitätsverlusts durch die Kämpfe sozialer Bewegungen an. In Anlehnung an ihren faschistischen Vordenker Carl Schmitt und seinem Credo „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“ wittern sie die Chance, die Gewalt in die eigene Hand zu nehmen. Aus der verschwörungsideologischen Idee, der Erfolg der Migrationsbewegungen im Spätsommer sei ein Putsch der Regierung Merkel gegen das „eigene Volk“ leiten sie ein vermeintlich verfassungsmäßiges Widerstandsrecht ab. Diese Ideen finden sich in den verschiedensten Strömungen der deutschen Rechten, von Compact-Magazin zu Götz Kubitschek vom Institut für Staatspolitik, von den Identitären über PEGIDA in die klassische Neonaziszene. Auch in Kreisen der AfD spielt sie eine entscheidende Rolle. Es ist der Legitimationsdiskurs eines fortdauernden rassistischen Gewaltexzesses, der sich gegen Refugees richtet: in gewalttätigen Übergriffen, in Brand- und Sprengstoffanschlägen, im rechten Terror. Die Position der AfD oszilliert zwischen dem Ausbau repressiver Kontrollmechanismen und Inszenierungen staatlicher Souveränität auf der einen und dem faschistischen Wunsch, das Recht in die eigene Hand zu nehmen, auf der anderen Seite. Doch auch um die demokratischen Kontrollmechanismen staatlicher Gewaltausübung steht es nicht allzu gut bestellt – man denke etwa an das jüngst von der CSU verschärfte Polizeiaufgabengesetz oder die polemischen Angriffe auf die Rechte von Geflüchteten, mit anwaltlicher Unterstützung Widerspruch und Klage gegen behördliche Entscheidungen einzureichen – von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt medienwirksam als „Anti-Abschiebe-Industrie“ verunglimpft.
Gewaltenteilung konnte die CSU schon immer dann nicht leiden, wenn sie dem eigenen absoluten Herrschaftsanspruch im Weg stand. Inspiration, wohin die Reise gehen soll, finden CSU wie AfD im Projekt „illiberaler Demokratie“ des Fidesz-Regimes um Viktor Orbán in Ungarn. Hier fallen der Abbau demokratischer Institutionen, wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit oder einer unabhängigen Justiz, mit systematischen staatlichen Angriffen auf Refugees zusammen. Kein Wunder, dass die Fanboys & -girls beider Parteien ganz Feuer und Flamme waren, als „unser Freund Viktor“ (Dobrindt, CSU), „der beste Politiker, den Europa sich wünschen kann“ (Bystron, AfD) jüngst wiedergewählt wurde. Dass Orbáns Kampagne maßgeblich auf der antisemitischen und verschwörungsideologischen Behauptung einer bewussten Migrationssteuerung zur Zerstörung der christlich-abendländisch-europäischen Gesellschaften durch den Shoah-Überlebenden George Soros aufbaute – wen kümmert’s in einer Gesellschaft, die ihre eigene Geschichte antisemitischer Vernichtungspolitik soweit verdrängt hat, dass sie Antisemitismus nur noch als migrantisches Importprodukt zu (er-)kennen vermag?
Migrationspolitik wird auch im Jahr Drei nach dem kurzen Fall des Dublin-Systems im Mittelpunkt des bayerischen Landtagswahlkampfs stehen und während linksliberale und sozialdemokratische Parteien im besten Falle ein bisschen mehr Freundlichkeit und ein bisschen mehr Großzügigkeit in der staatlichen Kontrolle und Regulation der Migration fordern, werden sich AfD und CSU gegenseitig in Ausgrenzung und Abschottung überbieten, den Mob auf die Straße bringen und die Staatsgewalt aufmarschieren lassen. Gesellschaftlicher Rechtsruck heißt nicht, dass die Rechten rechts sind und es alle Welt wissen lassen. Es heißt noch nicht einmal notwendig, dass quantitativ mehr Menschen rechte Positionen übernehmen. Es heißt, dass rechte Erzählungen und Ideologien über ihr eigenes Milieu hinaus akzeptabel und anschlussfähig werden, dass rechte politische Bewegungen sich konstituieren und in politischen Auseinandersetzungen dauerhafte Erfolge feiern können. Dem wird man nicht mit Ver- und Zugeständnissen beikommen können, sondern nur dadurch, die politische Differenz klar zu benennen und die eigene Position offen und offensiv zu vertreten. In diesem Fall bedeutet das: Wir bleiben solidarisch mit und in den Kämpfen der Migration, gerade weil sie die Ordnung staatlicher Souveränität über die Migration überschreiten, nicht trotzdem. Die breiten Mobilisierungen gegen Polizeiaufgabengesetz und CSU-Hetze in den letzten Wochen sind dafür ein guter Anfang. Unser gemeinsames Ziel muss sein, aus ihnen eine starke und antagonistische linke Bewegung zu machen. Unsere Solidarität insbesondere mit den Kämpfen der Migration entspringt darin nicht aus Altruismus, Verblendung oder Naivität, sondern weil wir genau wissen, was wir selbst wollen: eine solidarische Gesellschaft jenseits der Enge nationalstaatlicher Grenzen.
KÜCHE, EHE, BAYERNLAND
Diese Enge kriegt man in Bayern nicht erst an der nationalstaatlichen, sondern bereits an der Ländergrenze zu spüren. Neben den Nationalismus tritt eine anderswo ungekannte Anrufung der bayerischen Heimat. Es bleibt abzuwarten, ob der Export-Schlager Heimat-Ministerium auch anderswo das Bündnis von Laptop&Lederhosn, von Kapitalinteresse und regionalistischer Borniertheit, etablieren kann. Die Chancen dafür stehen nicht allzu schlecht. Ergänzt wird die unkritische Heimatliebe auch durch die Initiative des neugewählten Ministerpräsidenten Söder, der bereits in seiner ersten Regierungserklärung versprach, was uns als Drohung erscheint: „jeder, der bei uns leben möchte, muss sich an unsere Werte, Sitten und Gebräuche anpassen und nicht umgekehrt. […] Dabei ist das Kreuz das grundlegende Zeichen unserer kulturellen Identität.“ Daher wolle er „in allen Behörden des Freistaates ein sichtbares Kreuz anbringen“. In der Folge gehört auch der Islam nicht zu Deutschland/Bayern, wie man beinahe wortgleich im AfD-Wahlprogramm, bei André Poggenburg, Beatrix von Storch, Horst Seehofer, und Alexander Dobrindt nachlesen kann. Dass damit nicht „der Islam“, sondern maßgeblich jene Arbeitsmigrant_innen und Geflüchteten gemeint sind, die sich seit Jahrzehnten fürs deutsche Kapital den Rücken krumm machen durften, oder frech genug sind, ihre unveräußerlichen Menschenrechte einzufordern, ist allen klar. Ob und wie sie sich selbst in Fragen der Religion verorten, was juckt’s die bayerisch-deutsche Mehrheitsgesellschaft? Der Rückgriff auf religiöse Symbole dient einer ausgrenzenden Bestimmung der eigenen kulturellen Identität. (Rechts)katholische und evangelikale Bewegungen gehören europa- und weltweit zu den Initiator_innen, Triebfedern und Profiteur_innen des Rechtsrucks.
Der gegenwärtige Rechtsruck wird nur dann verständlich, wenn die Organisationen und Initiativen in den Blick genommen werden, die ihn vorbereitet haben: eine lange Reihe rechter Graswurzelprojekte, zu denen neben unzähligen rassistischen Bürgerinitiativen gegen Geflüchtete, den lokalen PEGIDA-Ablegern, den neonazistischen Gruppen, den rechtskonservativen Zirkeln, den Burschenschaften, den Protesten gegen Moschee-Bauten maßgebend auch die religiös-antifeministische „Lebensschutzbewegung“ und die „Demo für Alle“ gehören. Seit vielen Jahren bildet dieses Milieu ein Scharnier zwischen jenen Teilen der Union, die sich mit dem partiellen Zusammenfallen neoliberaler Wirtschaftspolitik und gesellschaftspolitischer Liberalisierung in den urbanen Zentren noch nie anfreunden konnten, und den rechtskonservativen und radikal rechten Milieus, denen Feminismus und Emanzipation seit jeher als dekadentes Zersetzungswerk galten.
Neben dem Rassismus und der Politik gegen Migrant_innen ist der Kampf gegen die Errungenschaften und Forderungen von Frauen*- und LGBTIQ-Bewegungen die zweite große Klammer gegenwärtiger rechter Mobilisierung. Der oberbayrische Bezirksverband der AfD will gar mit der Kampagne „Bayern Genderfrei“ gegen die CSU ins Felde ziehen, denn die CSU öffne „ohne jede Notwendigkeit Tür und Tor für Gender-Mainstreaming und die dazugehörigen Frühsexualisierung von Kindern“. Die Einführung administrativer Gleichstellungspolitik und schulischer Sexualerziehung dient der AfD als Angriffspunkt gegen den rechten Mitbewerber. Das kennt man aus den rechten Mobilisierungen gegen die schulischen Bildungspläne in verschiedenen Bundesländern. Doch zu früh gefreut, auch die CSU kümmert sich um Sorgen und Nöte der Normalos: „Eine Gesellschafts- und Bildungspolitik, die Gender-Ideologie und Frühsexualisierung folgt, lehnen wir ab“ – so steht’s im CSU-Grundsatzpapier „Die Ordnung“. Und während die AfD „Ehe und Familie“ als „Keimzellen der bürgerlichen Gesellschaft“ erkennt, die daher „zu Recht den besonderen Schutz des Staates“ genießen würden, bemerkt die CSU: „Die Ehe von Mann und Frau steht zurecht unter dem besonderen Schutz des Staates. Wir wenden uns gegen jegliche Relativierungsversuche.“ Wäre es nach der deutschen Rechten gegangen, dann würde denjenigen, die innerhalb einer solchen Keimzelle der bürgerlichen Gesellschaft [Ehe] vergewaltigt werden, bis heute dieser „besondere Schutz des Staates“ versagt. Als 1997 der Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe eingeführt wurde, stimmten 138 Abgeordnete dagegen – zwei der prominentesten unter ihnen: Erika Steinbach, ehemals CDU und heute Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung und Horst Seehofer, Bundesinnenminister, CSU-Vorsitzender und bis vor kurzem bayerischer Ministerpräsident. Besonders zynisch wirkt es, wenn sich genau dieses Klientel dazu berufen fühlt, „deutsche Frauen“ vor „migrantischen Männern“ zu schützen oder
gar einen „rechten Feminismus“ zu etablieren. Sexualisierte Gewalt wird in der rechten Logik nur dort zum Problem, wo die Gefahr von außen kommt. Die rassistische Projektion auf „die fremden Männer“ geht einher mit patriarchalen Besitzansprüchen über die „eigenen Frauen“. Mehr noch, wer sich die Mühe macht, rechte und nicht zuletzt AfD-nahe Internet-Kommentarspalten durchzulesen, wird immer wiederkehrend auf Drohungen von Vergewaltigung und sexualisierter Gewalt als Straf- und Disziplinierungsmittel gegen Feminist_innen, Frauen*, Lesben, Schwule, Transgender, Intersexuelle und viele andere stoßen – insbesondere dann, wenn diese gegnerische politische Positionen vertreten.
Als zwanzig Jahre nach der Einführung der Strafbarkeit von Vergewaltigung innerhalb der Ehe der Bundestag die Ehe auch für homosexuelle Paare öffnete, stimmten nicht nur der Großteil der CSU-Abgeordneten gegen diesen „Relativierungsversuch“, die bayerische CSU-Staatsregierung kündigte auch eine Klage an, die sie schließlich wegen mangelnder Erfolgsaussichten zurückzog. Auch die bayerische AfD bezog Stellung und unterstellte in klassisch homofeindlicher Manier Zusammenhänge von Homosexualität mit Polygamie bzw. Zoo- und Pädophilie. Wenn es also darum geht, der AfD und allen anderen, die die vermeintlich natürliche, göttliche oder was auch immer Geschlechterordnung beibehalten möchten, das Fürchten zu lehren, dann liegt es an uns.
Wie in Fragen der Migrationspolitik ist der Rechtsruck in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse mehr als eine Reihe widerlicher und skandalöser Aussagen trauriger Gestalten. Auch hier ist der Rechtsruck reaktionär im engeren Wortsinne. Er mobilisiert insbesondere jene, denen die Gleichheit aller als Angriff auf die eigene Vorherrschaft erscheint, und reagiert damit auf die Erfolge sozialer Bewegungen, deren Errungenschaften er rückbauen und deren zukünftige Kämpfe er blockieren will. Doch genau um diese zukünftigen Kämpfe wird es gehen, wenn wir den Rechtsruck aufhalten wollen. Um eine Perspektive, die sich nicht auf die Skandalisierung des Skandalösen beschränkt, sondern offensiv auftritt. Wir sind nicht nur deswegen solidarisch mit Frauen*- und LGBTIQ-Bewegungen, weil sie Ziel rechter Angriffe sind, sondern wir kämpfen mit und in diesen Bewegungen, weil wir genau wissen, was wir wollen: eine Gesellschaft jenseits der Enge patriarchaler und heteronormativer Geschlechterordnung.
KÜHE, KLIMA, KAPITAL
Wenngleich Fragen von Migration und Geschlechterordnung mit besonderem Eifer von AfD und Co. beackert werden, so zielt die Agenda auf eine gesamtgesellschaftliche Umgestaltung. Ob es um Umwelt, soziale Frage, Stadt- oder Kulturpolitik geht: Das Gesellschaftsprogramm der Rechten steht unseren Vorstellungen grundsätzlich entgegen.
Spätestens seit der Niederschlagung der Münchner Räterepublik und der Zeit der „Ordnungszelle“, geht es in Bayern – gerne folkloristisch verharmlost – noch reaktionärer zu, als im Rest der Republik. Dass es trotz alledem auch im Freistaat ordentlich rumpeln kann, ließ sich etwa in Wackersdorf beobachten. Als in den 80er Jahren in der Oberpfalz eine atomare Wiederaufbereitungsanlage gebaut werden sollte, gab es fast ein Jahrzehnt lang massive Proteste. Trotz starker Repression und der Ankündigung nicht zu verhandeln, konnte die Anti-Atom-Bewegung den Bau der Wiederaufbereitungsanlage verhindern – ein immenser Erfolg. Auch wenn die CSU den nach Fukushima eingeleiteten Atomausstieg zähneknirschend akzeptiert hat, bei allen tatsächlichen umweltpolitischen Widersprüchen innerhalb der CSU, bei allem Hirsch- und Almkitsch als Standortvorteil, steht es im Zweifelsfall außer Frage, wessen Interessen die CSU wirklich antreiben. Ob es um das Dieselverbot in München, den Brennstoff „Bayern Sprit“ oder das Raumfahrtzentrum „Bavaria One“ geht: So lange die Wirtschaft brummt, fällt die Umwelt mit allen plätschernden Gebirgsbächen und Alpenpanoramen hinten runter.
In der neoliberal und marktradikal geprägten Agenda der AfD spielen Fragen von Umwelt- und Tierschutz höchstens als skurrile Quatschargumente eine Rolle. Die Partei sorgt sich nicht nur um die gute alte Atomenergie, die im Gegensatz zu Windkrafträdern immerhin keine Vögel zersäbelt, oder lobt die Auswirkungen des CO2-Ausstoßes auf das Pflanzenwachstum. Die AfD steht als Partei für Klimawandelleugnung und die unverbrüchliche Treue zu Kohle- und Kernkraft und ist somit natürlicher Gegner all jener, bei denen schmelzende Polkappen – und die katastrophalen Auswirkungen der rücksichtslosen Vernutzung natürlicher Ressourcen gerade auch auf Menschen im globalen Süden – mehr als ein Achselzucken auslösen.
Wunder, oh Wunder, auch sozialpolitisch bleibt die AfD in Bayern ihren marktradikalen Wurzeln treu – und setzt auf den gesellschaftlichen survival of the fittest und weniger auf den völkischen national-sozialen Kitsch seiner ostdeutschen AfD-Verbände. Bis 2028 soll das Land schuldenfrei sein, die Staatsregierung will sich bis 2030 Zeit nehmen. Damit das gelingen kann, sollen Investitionen im Sozialbereich gestrichen und mehr Geld zugunsten des heimischen Kapitals investiert werden.
Programmatisch sieht sich die AfD dabei als „künftige Stimme der Selbstständigen, Freiberufler, Familienbetriebe sowie kleiner und mittlerer Unternehmen“ – seit jeher eine der zentralen Säulen rechter Projekte in Deutschland, die tagein tagaus vom „unkontrolliert immer weiter ausufernden Sozialstaat“ (Jörg Meuthen) gegängelt würden. Kämpferische Gewerkschaften, betriebliche Mitbestimmung, flächendeckende Tarifverträge, Sozialversicherung und „überbordende Bürokratie“ würden „unsere[n] gesamte[n] Wohlstand“ gefährden. Auch nach mehreren Jahrzehnten neoliberaler Umverteilung von unten nach oben, hat die AfD noch nicht genug. Wenig überraschend: seit der Entstehungszeit der Partei spielen marktradikale Akteur_innen eine entscheidende Rolle innerhalb der Partei. Während wenige richtig absahnen, sollen die anderen schauen, wie sie selbst zurande kommen. Und wer sich dann als hyperprekarisierte_r Selbstständige_r ohne Tarifvertrag, Kündigungsschutz oder Anspruch auf Sozialleistung keine Wohnung mehr in den urbanen Ballungszentren leisten kann? Kein Problem – wie wäre es mit einer Investition in eigenen Immobilienbesitz? Die AfD verspricht auch mit „massive[n] Steuerreduzierungen“ zu helfen, Hauptsache bloß keine „sozialistische[n] Umverteilungsmaßnahmen“. „Wir stehen für das Eigentum“ – auch die CSU lässt daran programmatisch keine Zweifel aufkommen. Aufgabe des Staates sei es, „Eigentum [zu] schützen und schleichende Enteignung verhindern“. Dass hinderte Markus Söder in seiner Zeit als bayerischer Finanzminister allerdings keinesfalls 33 000 Wohnungen aus dem Eigentum der bayerischen Landesbank an einen privaten Investor zu verscherbeln. Für die etwa 80 000 Mieter_innen bedeutet dies Verdrängung, Mieterhöhungen und Kündigungen. Während AfD und CSU von der Seite des Eigentums aus an der Verschärfung der Lebensbedingungen von Millionen von Menschen tüfteln, liegt es an emanzipatorischen Bewegungen Fragen der Aneignung, Kollektivierung und Sozialisierung des gesellschaftli
chen Reichtums neu zu stellen, für eine Perspektive jenseits neoliberaler Verelendungspolitik und bürgerlicher Eigentumsordnung.
Die steuer- und sozialpolitischen Forderungen der AfD dienen dazu, die Gegensätze in der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und der gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten weiter zu verschärfen. Es dürfte nur wenig verwundern, dass auch das bildungspolitische Programm in dieselbe Richtung zielt. „Beste Bildung ist der Schlüssel zu den Chancen unserer Gesellschaft“ schreibt die CSU. In kaum einem europäischen Staat sind die gesellschaftlichen Aufstiegschancen durch Bildung so gering wie in Deutschland. In kaum einem Bundesland dient das Schulsystem so sehr der Reproduktion der Klassengesellschaft wie in Bayern. Doch auch hier wittert die AfD noch Nachbesserungsbedarf, sie fordert das Bildungssystem „leistungsorientiert“ zu differenzieren und hat dabei klare Vorstellungen, wer dem Lernerfolg der zukünftige Eliten nicht im Weg stehen soll: Kinder mit Behinderungen und migrantische Kinder sollen nicht mehr im Konkurrenzkampf um die besten Leistungen in den Lernzielen „traditionellen Verantwortung zur bayerischen Heimat und dem deutschen Volk“, „Disziplin, Ordnung, respektvoller Umgang, Pünktlichkeit und Rücksichtnahme“ zur Last fallen. Doch zwei Regeln gelten trotz Leistungsprinzip und Wettbewerb – das Ganze bitte auf Deutsch und „ohne Gender-Ideologie“.
RAGE AGAINST AUTORITÄRE FORMIERUNG
Doch so richtig neu und innovativ sind die Forderungen der AfD nicht. Seit Jahren findet sich kaum ein CSU-Schreihals, der nicht lautstark nach einer „Leitkultur“ krakeelt. Hier in Bayern, dort wo die CSU (noch) alleine herrscht, finden diese Debatten ihren Niederschlag in rassistischen Gesetzen wie dem „Bayerischen Integrationsgesetz“. Damit auch wirklich niemand aus der Reihe tanzt, ergänzen sicherheitspolitische Vorstöße die Leitkulturdebatten von CSU und AfD. Obwohl Bayern nach Maßstäben der polizeilichen Kriminalstatistik das „›sicherste‹ Bundesland“ ist und die Kriminalitätsraten seit Jahren sinken, steigt die gefühlte und medial produzierte Bedrohungslage. Dabei gibt es kaum einen Grundrechtseingriff, der sich nicht mit dem Verweis auf innere Sicherheit und Terrorgefahr durchexerzieren ließe. Ein anderer Umgang mit sozialen Fragen und Widersprüchen, als der polizeilich-repressive ist im Freistaat kaum noch denkbar. Seinen Kritiker_innen hielt der bayerischen Innenminister Joachim Hermann anlässlich der Kritik am neuen Polizeiaufgabengesetz, das eine massive Ausweitung der polizeilichen Ermittlungs-befugnisse, die Verwischung zwischen Polizei und Geheimdiensten und einen Angriff auf rechtsstaatliche Standards bedeutet, entgegen: „Ein frühzeitiges konsequentes Handeln kann zur Gefahrenabwehr notwendig sein“, die Kritik am Gesetz sei „grober Unfug“. Es ist mehr als die Arroganz der Macht, die aus Hermann spricht. Es ist auch der tatsächliche Glaube, Gesellschaft als Ganze polizeilich einhegen und kontrollieren zu können. Das Gesetz richtet sich daher maßgeblich auch gegen jene, die den bayerischen Überwachungs- und Sicherheitsstaat herausfordern und in Frage stellen, gegen soziale Bewegungen. Da macht auch die AfD gerne mit: „Wir sagen linken Krawallmachern […] den Kampf an. Mit uns wird hart durchgegriffen gegen jeglichen gewalttätigen Extremismus.“ Dafür sei es nötig, dass die Polizei auch ganz offiziell – und nicht nur de facto – auf Methoden des racial profi
ling zurückgreifen und diese rassistischen Ergebnisse auch gleich in die polizeiliche Kriminalitätsstatistik miteinbeziehen dürfe.
Auch die Einführung des sogenannten „Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes“, mit dem Menschen mit bestimmten Krankheiten bzw. Diagnosen per Gesetz stigmatisiert und kriminalisiert werden, stößt dabei ins selbe Horn. Eine Trennung zwischen Polizei, Strafvollzug und Psychiatrie verschwimmt. Psychische Erkrankungen werden als Folge individuellen Versagens dargestellt und eine gesellschaftliche Dimension wird ausgeklammert. Alles von der Norm abweichende wird als Bedrohung dargestellt oder pathologisiert, die einzig denkbaren Antworten darauf lauten Repression und Überwachung. Auch hier ist die ideologische Vorstellung umfassender Kontrollier- und Beherrschbarkeit ausschlaggebend.
STRATEGIE UND ORGANISIERUNG
Wir begreifen die bayernweite ‚Nationalismus ist keine Alternative‘-Kampagne auch als Möglichkeit einer weitergehenden antifaschistischen Strategiedebatte und eines linksradikalen Organisierungsprozesses. Insbesondere die Situation in Bayern lässt sich ohne eine Analyse der Hegemonie der CSU nicht verstehen. Es geht nicht darum, die Unterschiede zwischen den verschiedenen rechten Akteur_innen aus dem Blick zu verlieren, sondern darum zu begreifen, wie sie besonders in ihrer Konkurrenz aufeinander Bezug nehmen und einander verstärken. Der Aufstieg der AfD zeigt deutlich, dass vormals erfolgreiche antifaschistische Strategien der Aufklärung über Rechte und ihre Verwicklungen zunehmend ins Leere laufen. Das macht diese nicht unnötig, aber es erfordert neue ergänzende Strategien und Schwerpunktlegungen. Das zunehmende Scheitern antifaschistischer Aufklärungsstrategien, die sich meist an eine breite Öffentlichkeit richteten, ist vielmehr selbst Kennzeichen des Rechtsrucks: was vor einigen Jahren noch Empörung hervorrief, wird nun sang- und klanglos hingenommen, was vor einigen Jahren noch als Skandal taugte, scheint jetzt konsensfähig. Unsere früheren Strategien waren nicht einfach unüberlegt oder falsch, sie bezogen sich auch auf andere gesellschaftliche Verhältnisse. Als politische Bewegung müssen wir auch lernen, unsere eigenen Stärken und Erfolge anzuerkennen und kritisch daran anzuknüpfen.
Wir teilen einen gemeinsamen Ausgangspunkt in der Analyse: Ziel der Praxis der antifaschistischen und radikalen Linken muss die Polarisierung der gesellschaftlichen Widersprüche von Links sein. CSU, AfD und die anderen rechten Bewegungen und Parteien sind nicht nur deshalb Gegenstand unserer Kritik, weil sie skandalöse Positionen vertreten, sondern vor allem, weil sie sich unseren eigenen emanzipatorischen Forderungen und Kämpfen in den Weg stellen.
Die Macht, politische Forderungen durchzusetzen und in gesellschaftlichen Kämpfen erfolgreich zu sein, entspringt Kollektivität und Organisierung. Kollektive Erfahrungen, Solidarität und Organisierung sind Grundpfeiler linker, emanzipatorischer politischer Praxis. Nutzen wir daher die Phase des anstehenden Landtagswahlkampfs der beiden wahlrelevanten Rechtsparteien, der so oder so im Zentrum der politischen Arbeit antifaschistischer Gruppen aus ganz Bayern stehen wird, um einen solchen Austausch und eine kollektive politische Praxis zu entwickeln. An Gelegenheiten dazu wird es nicht mangeln.
Der gesellschaftliche Rechtsruck ist ein Angriff auf uns alle. Ein Angriff sowohl auf Errungenschaften sozialer Bewegungen, als auch ganz konkret auf Individuen, seien es abgeschobene Geflüchtete, LGBTQ* oder Menschen, die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung fordern. Eine solche Gesellschaft hat uns nichts zu bieten. Unserer Vorstellung einer emanzipatorischen, befreiten Gesellschaft, jenseits von Kapitalismus, Nationalstaaten und Patriarchat, kommen wir nur mit Solidarität einen Schritt näher. Um der CSU und AfD angesichts der kommenden Landtagswahlen 2018 gemeinsam etwas entgegensetzen zu können, gründete sich daher die Kampagne „Nationalismus ist keine Alternative – NIKA Bayern“. Diese hat einerseits das Ziel, gemeinsam gegen AfD und CSU aktiv zu werden. Andererseits sollen durch die Kampagne ländliche und kleinstädtische Strukturen unterstützt und gestärkt werden. Nur gemeinsam und solidarisch sind wir stark und Erzählungen von Menschen, die für etwas Besseres als den Status Quo einstehen, gibt es viele: Seien es die Berufsschüler*innen, die 2017 durch Proteste die Abschiebung eines Mitschülers verhinderten; Menschen, die auf eigene Faust mit selbst in-Schuss gebrachten Schiffen im Mittelmeer in See stechen, um Seenotrettung zu leisten; oder auch nur all jene, die in scheinbarer Alltäglichkeit immer wieder rechter Hetze widersprechen. Vom breiten Widerstand gegen das neue bayerische PAG über die Solidarisierung unter Geflüchteten in den Unterkünften: Die Geschichten sind da, lasst sie uns sichtbar machen und neue schreiben – denn unsere Antwort heißt Solidarität. Werdet aktiv und beteiligt euch an NIKA-Bayern!