Eineinhalb Monate nach dem rassistischen Terroranschlag von Hanau am 19. Februar, ist in der weißen, deutschen Mehrheitsgesellschaft die Normalität wieder eingekehrt. Von der scheinbaren Anteilnahme, die sich nach dem Anschlag von Presse bis Bundeskanzlerin vorgab auszubreiten, ist nichts geblieben. Im Gegenteil nimmt der Alltag wieder seinen Lauf und das BKA bekundet in seinem Abschlussbericht, es habe sich beim Attentat von Hanau nicht um eine „primär rechtsextrem“ motivierte Tat gehandelt, womit sich einmal mehr zeigt, dass die Institutionen dieses Staates Akteure sind, die neonazistischen Terror, den voranschreitenden Rassismus (auch in den eigenen Reihen) verharmlosen, decken und damit auch aktiv befeuern. Spätestens seit der Mordserie des NSU sollte klar sein, Rassismus und Rechtsterrorismus sind gesamtgesellschaftliche Probleme, die es als solche zu benennen gilt.
Diese Beurteilung ist ein Skandal! Die Initiative 19. Februar Hanau schreibt dazu auf Facebook folgendes: „Deutschland hat seit Jahrzehnten ein Rassismus-Problem, ein Problem mit rechtem Terror. Dazu gehört auch, Nazis nicht zu erkennen und nicht als solche zu benennen. Es reicht offensichtlich nicht einmal, neun Menschen aus rassistischen Motiven zu töten, um vom BKA als „Rechtsextremist“ eingestuft zu werden. Das ist unglaublich – und war trotzdem absehbar.“ Rassistische Drohungen, Diskriminierung und Gewalt gehören zum Alltag von Migrant*innen und PoC in Deutschland. Berichten diese davon, wird diese Tatsache geleugnet, relativiert oder – wo dies nicht möglich ist – dem „rechten Rand“ oder einem psychisch kranken Einzeltäter zugeschrieben. Aber Rassismus und rechte Vernichtungsideologien sind kein Problem weniger Verrückter, sie sind ein strukturelles Problem der Mehrheitsgesellschaft und in der Logik des deutschen bürgerlichen Staates und seiner Institutionen angelegt.
Seit 1990 wurden in der Bundesrepublik mindestens 209 Menschen zu Opfern rechtsextremer Gewalt. Der Terroranschlag in Hanau war kein Einzel- und kein Zufall in einer Gesellschaft, die schon viel zu lange nach rechts gerückt ist, befeuert von Forderungen nach „Leitkultur“, „Abschottung“ und „wohltemperierter Grausamkeit“. Rassismus ist kein Problem eines „rechten Rands“, er bestimmt den öffentlichen Diskurs in den Parlamenten, Polizei, Gerichten, der bürgerlichen Presse. Rassismus tötet – an den europäischen Außengrenzen, in Dessau, Kassel, Halle, Kleve und in Hanau.
Der Kampf gegen den Rassismus kann und muss daher nicht von, sondern gegen die Institutionen dieses Staates geführt werden. Als NIKA NRW solidarisieren wir uns mit allen Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt! Was wir am Tag nach dem Anschlag schrieben, gilt weiterhin: Wir sind jetzt in der Pflicht den Rechten entgegen zu treten & die Betroffenen nicht alleine zu lassen! Gegen den rechten Terror und seine Brandstifter*innen und Apologet*innen aus der bürgerlichen Mitte und des Staates! Migrantifa in die Offensive!
Gökhan Gültekin, Ferhat Unver, Hamza Kurtović, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kalojan Velkov, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu und Said Nesar El Hashemi – wir vergessen euch nicht!
UPDATE 05.04.2020:
Das BKA dementiert mittlerweile, dass ein Abschlussbericht, in dem der Anschlag nicht als rassistisch und „rechtsextremistisch“ bewertet werde, existiere. Es habe sich offenbar um Einschätzungen zum Täter gehandelt. Die Tat werde „als eindeutig rechtsextremistisch“ bewertet.