Aufruf zu den Demonstrationen zum Frauen*kampftag 2018 in Berlin, Göttingen und anderswo und der bundesweiten Aktionswoche vom 1. – 8. März gegen die Akteure des antifeministischen Rollbacks
Die letzten Jahre sind geprägt von feministischen Massenprotesten weltweit: Women‘s Marches, besonders erfolgreich in den USA gegen die Trump- Administration, das Sichtbarmachen von sexualisierter Gewalt während der MeToo-Debatte, oder das Ablegen der Kopftücher im Iran im Zuge der diesjährigen Aufstände. Auch wenn diese Proteste in Teilen widersprüchlich sind, zeigen sie dennoch, dass feministische Kämpfe immer noch geführt werden müssen. Und das entgegen all derjenigen Stimmen, die trotzig wiederholen, Gleichberechtigung sei für alle Frauen* längst Realität. Dem ist mitnichten so – selbst hart erkämpfte Standards werden heute wieder in Frage gestellt: unterschiedliche antifeministische Projekte haben Konjunktur und greifen die Errungenschaften und Forderungen der Frauen*bewegungen aggressiv an. Doch davon lassen wir uns nicht einschüchtern und tragen auch dieses Jahr unsere wütende Kritik auf die Straße!
Feminismus als Fassade
Mit der AfD ist auch in Deutschland eine Partei ins Parlament eingezogen, die mit antifeministischen Inhalten für sich wirbt. Keine Partei kann es sich jedoch heutzutage leisten, einen platten Antifeminismus zu vertreten. Deshalb kommt das Alte in einem neuen Gewand daher. Im Zuge der Debatte um die Silvesternacht 2015 in Köln, versuchte nicht nur die AfD sexualisierte Gewalt gegenüber weißen Frauen* rassistisch zu wenden und für Abschottungspolitik zu vereinnahmen. Die Logik ist simpel: der homogene und feministische Westen wird vom unaufgeklärten Rest der Welt bedroht und bedarf deshalb geschützter Grenzen. Dabei geht es um nichts weiter als die Verteidigung des Bestehenden und die Frage, wer hier die Frauen* „haben kann“. Die Unversehrtheit der weißen Frau* ist das nationale Pendant zur Discoprügelei zwischen Männern. Am Ende steht immer noch das Patriarchat als Sieger da. Zudem erteilen Fakten der Behauptung eine klare Abfuhr, dass das Patriarchat ein Importprodukt der Geflüchteten und des Islam sei. Das medial vermittelte Bild, es seien primär „fremde“ Männer, die „unsere“ Frauen* vergewaltigen würden, ist ein gewaltiger Mythos. Den Großteil der Sexualstraftaten in Deutschland begehen Menschen aus dem engeren Bekannten- und Verwandtenkreis: nur etwa ein Sechstel der Täter ist unbekannt. Etwa 70% der von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen* geben dabei die eigene Wohnung als Tatort an. Zu Hause ist die Gefahr für Frauen am größten zum Opfer dieser Strukturen gemacht zu werden. Die Realität ist also: das Problem besteht schon lange, die Ursachen liegen in unserer patriarchalen Gesellschaft. Wir sagen allen Formen sexualisierter Gewalt den Kampf an!
Antifeministischer Rollback
Die AfD will diese Strukturen verschleiern und steht mit ihren reaktionären Forderungen nicht alleine da. Europaweit formiert sich ein rechtes Hegemonieprojekt, dass rechte Intellektuelle, Parlamentarier und Stammtischrassisten vernetzt und handlungsfähig macht. Wichtiges verbindendes Moment sind ihre geteilten reaktionären Geschlechtervorstellungen, die Antifeminismus, Sexismus und Homofeindlichkeit umfassen. Mit Verweis auf die „Natur“ und biblischen Bezügen angereichert, glorifizieren sie ein konservatives Familienmodell und wähnen sich im ständigen Kampf gegen den sogenannten „Genderismus“. Vor allem die christlich-fundamentalistische Nische mit ihrer prominentesten Vertreterin Beatrix von Storch (AfD) versucht, emanzipatorische Politik zu sabotieren. So fordert sie beispielsweise das generelle Verbot von Abtreibungen und die Abschaffung von Frauen*häusern. Der Fluchtpunkt einer solchen Rhetorik ist die deutsche Kleinfamilie als Erlösungsfantasie. Während der neoliberale Block der AfD in ihr die Keimzelle der deutschen Gesellschaft sieht und sie weiterhin unter die schützende Hand des Staates stellen will, ist die deutsche Familie für die völkisch-nationalen Vertreter der AfD die Rettung der Volksgemeinschaft selbst: Deutsche Kinder müssen her, gegen die Zuwanderung. Daraufhin wird eine Bevölkerungspolitik verkündet, die Kinderlosigkeit und alternative Lebensmodelle ächtet. Weibliche Körper werden darin lediglich im Zusammenhang mit Familie und Reproduktion gesehen und in den Auftrag der Nation gestellt.
Von Faschisten und Familienvätern
Bewusst nutzen die Akteure der neuen Rechten antifeministische Hetze als Verbindungsglied zwischen den unterschiedlichen Spektren. Sie ist auch deshalb so mobilisierungsfähig, da diverse politische Gruppierungen von der antifeministischen Propaganda positiv angesprochen werden. Das kommt nicht von ungefähr. Ordentliche Kindererziehung, das Festhalten an erlernten Geschlechterrollen und das Bedürfnis nach einer hierarchisch organisierten Gesellschaft vereinen den Neonazi mit dem konservativen Familienvater. Da ihre gesellschaftliche Vormachtstellungen und eigene reaktionäre Familienmodelle vermeintlich angegriffen werden, fühlen sich Männer mit dem Rücken zur Wand. Ob die „Demo für Alle“ in Stuttgart oder die „manif pour tous“ in Frankreich: gemeinsam demonstrieren sie gegen den „Genderwahn“.
Die rechte Lüge von der Antifa-Republik und Genderlobby
Wenn sich AfD & Co als konservative Rebellinnen gegen den „linksversifften Mainstream“ inszenieren, rücken sie die hiesige Gesellschaft in ein Licht, dass sie nicht verdient. Denn wir leben in keiner Antifa-Republik – und eine allmächtige feministische Lobby gehört trotz großer Anstrengungen ebenfalls weiterhin in das Reich der Phantasie. So unterliegen zum Beispiel Abtreibungen bis heute restriktiven Gesetzen. Erst neulich sorgte die Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel aufgrund des Paragrafen 219a für Furore. Ihre „Straftat“: sie bot Abtreibungen öffentlich an und stellte dafür geeignete Informationen auf ihrer Homepage zur Verfügung. Bis heute ist das gesetzlich verboten. Obwohl sich unsere Lebensrealitäten durch die mutigen Kämpfe feministischer Bewegungen bereits um einiges verbessert haben, trügt der Schein des staatlichen Gleichstellungsversprechens. Instrumente wie das Entgeltgleichheitsgesetz, Elternzeit und Frauen*quoten tragen höchstens zu einer symbolischen Gleichstellung bei. Denn gesellschaftliche Teilhabe unterliegt im Kapitalismus immer den Gesetzen des Marktes. In der modernen kapitalistischen Gesellschaft verschafft Gleichstellung sowohl dem Betrieb als auch dem Standort Deutschland Vorteile: unter dem Label Integration von Frauen* wird deren Potential als Konsument*innen und Arbeitskräfte effizient genutzt. So vereinnahmen die Institutionen des bürgerlichen Staates sowie die Privatwirtschaft feministische Forderungen und berauben sie ihres revolutionären Kerns. Noch immer wird ein Großteil der Reproduktionsarbeit unentgeltlich und von Frauen* verrichtet. Dieser Umstand ist kein Zufall, sondern für die derzeitige Gesellschaftsordnung unabdingbar. Ohne ein Umsorgen und Pflegen der Arbeiter*innen von gestern, heute und morgen, gäbe es keine Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise. Ein Identitätsfeminismus, der nur bewertet, wer in welchem Maße Zugang zu „Privilegien“ erhält, verbleibt in dieser Logik. Klar ist es begrüßenswert, dass Frauen* zu gesellschaftlicher Teilhabe ermutigt werden – ist eine Kapitalismus- und Staatskritik in feministischen Forderungen jedoch nicht enthalten, führt sie dazu, die Doppelbelastung von Frauen* zu reproduzieren. Wir stellen uns gegen die zwei häufigen, grundsätzlichen Probleme der Erscheinungsformen des heutigen Feminismus. Die Ohnmacht gegenüber dem Rechtsruck und der institutionellen Manifestation der AfD in den Parlamenten bedeuten nicht nur Abschiebung in den Tod, Abschaffung der Rechte von Migrant*innen und schlechtere Bedingungen für die, die ohnehin am unteren Rand der Gesellschaft stehen, sondern eben auch einen Angriff auf das Leben von allen, die von patriarchaler Gewalt täglich betroffen sind. Diesem kann – und darin besteht das Problem – die Zahmheit des Identitätsfeminismus nichts entgegensetzen.
Expect resistance …
Konsequente feministische Praxis richtet sich daher sowohl gegen reaktionäre Bewegungen und den gesellschaftlichen Rechtsruck als auch gegen den bürgerlichen Staat und die kapitalistische Produktionsweise! Ob in Frankreich, Polen oder anderswo: unsere Lebensrealitäten, unsere alltäglichen Kämpfe, unser Überleben in einer sowieso schon feindlichen Gesellschaft sind kein „Genderwahn“ und auch keine Luxusprobleme! Wir wissen selbst am besten was gut für uns ist. Für eine Gesellschaft ohne patriarchale Zurichtung und sexistische Gewalt, in der wir solidarische und emanzipatorische Lebensentwürfe entwickeln können ohne diese ständig gegen Rechts und den Zugriff des Staates verteidigen zu müssen!
Bis dahin gibt es noch viel zu tun. Deswegen rufen wir im Rahmen der Kampagne „Nationalismus ist keine Alternative!“ dazu auf, zwischen dem 1. und 8. März die Akteur*innen des antifeministischen Rollbacks mit kreativen Aktionen zu besuchen. Wer die Errungenschaften der Frauen*bewegungen angreift und rückgängig machen will, der hat mit unserem Widerstand zu rechnen. Die Gelegenheiten dafür sind zahlreich, Ideen gibt es viele und die Nächte sind lang. Jeder Tortenwurf, jede gestörte Rede und jede geschlossene antifeministische Apotheke ist ein Erfolg. Kommt anschließend mit uns in den NIKA-Block auf der Frauen*kampftagsdemo in eurer Stadt, um ein kämpferisches Zeichen in die Welt zu setzen! Unser Feminismus ist der radikale Bruch mit der Gesellschaft – make feminism a threat!
Kampagne „Nationalismus ist keine Alternative“ im Februar 2018</em°
Wenn ihr die Kampagne & das Aktionswochenende unterstützen möchtet, schickt eure Aktionsankündigungen, Aufrufe, Termine, etc. an die Kampagne.
*: Obwohl wir Geschlechterkategorien als Konstruktion erkennen, ist die Zweigeschlechtlichkeit mitsamt ihren „natürlichen“ Zuschreibungen eine gesellschaftliche Realität, mit der wir immer wieder konfrontiert sind. Aus diesem Grund verwenden wir zwar die Bezeichnungen „Frauen“, „Männer“ usw., markieren diese aber mit einem Stern.