Verschwörungsideologie ist kein harmloser Quatsch!
Sie skandieren rhythmisch das Grundgesetz und praktizieren gemeinschaftlich Yoga: Was sich inzwischen auch an vielen Orten in Bayern als freiheitsliebender alternativer Protest gibt, der sich kritisch am Corona-Management abarbeitet, ist in Wirklichkeit eine äußerst dynamische und bizarre Welle rechter Straßenmobilisierung. Mit Kritik haben diese selbst-ernannten „Corona-Rebellen“ jedoch nicht im entferntesten etwas zu tun. Statt die multiplen Ausschlüsse und Brutalitäten zu kritisieren, die mit dem gesellschaftlichen Umgang mit Corona einhergehen – etwa die dramatischen Zustände in Refugee-Camps und Knästen, die massive Zunahme häuslicher Gewalt oder den kapitalistisch überformten Gesundheitssektor -, verbreiten sie Verschwörungstheorien um Impfmythen und einem geheimen Plan, die Bevölkerung mit Mikrochips unter Kontrolle zu bringen. Diese Halluzination der Corona-Krise als eine „Machtübernahme“ bedient dabei die üblichen antisemitischen Feindbilder in Medien und Politik, Pharmaindustrie und internationalen Organisationen. Mit vertreten von Anfang an: alte Bekannte der lokalen Pegida-Aufmärsche, AfD-Funktionär*innen, Holocaustleugner*innen und rechte „alternative Medien“. Es ist kein Zufall, dass auch die Telegram-Chats eindeutige Verbindungen in die extrem rechte Medienlandschaft aufweisen, oder dass Flugblätter von „Nicht ohne uns“ die NS-Herrschaft mit einem Gefasel über eine gegenwärtige „Gleichschaltung“ im „Notstands-Regime“ verharmlost. Gleichzeitig vermengen sich in der aktuellen Lockerungsdebatte extrem rechte und verschwörungsideologische Märchenerzählungen mit marktradikalen und sozialdarwinistischen Stärke-Diskursen, die auch einen bürgerlichen Resonanzraum finden. Nicht zuletzt Hanau hat gezeigt: Diese Mischung von verschwörungstheoretischem Wahn und extrem rechter Mobilisierung ist hochgefährlich!
In zahlreichen bayerischen Städten gehen seit Wochen selbsternannte „Corona-Rebellen“ auf die Straße. Das Spektrum umfasst vor allem auch Verschwörungsideolog*innen, Impfgegner*innen und extreme Rechte.
In Passau fand am 9. Mai eine von von der antifaschistischen Gruppe NullAcht51 organisierte Kundgebung gegen die „CoronaRebellen Passau“ statt. Der Gegenprotest stand unter dem Motto „LeaveNoOneBehind statt rechtem Schwurbel“. Bei der Kundgebung mit ca. 50 Teilnehmenden wurde mit Transparenten und Redebeiträgen gegen die krude Mischung aus Verschwörungsgläubigen, Impfgegner*innen, Reichsbürger*innen und extrem Rechten protestiert, die sich unter dem Label „CoronaRebellen“ sammeln; gleichzeitig wurde auf die unhaltbaren Zuständen in griechischen Geflüchtetenlagern, die mangelnden Versorgung von Schwangerschaftsabbrüchen sowie auf die sozialen Verwerfungen, die durch die kapitalistische Krisenbewältigung entstehen, aufmerksam gemacht. Auf die Hygienemaßnahmen wurde geachtet – ganz im Gegensatz zur Kundgebung der „CoronaRebellen“, wo weder ein angemessener Abstand eingehalten, noch Masken getragen wurden. Der Gegenprotest war dabei insofern erfolgreich, als dass die Kundgebungen der „CoronaRebellen“ am darauffolgenden Samstag, den 16. Mai, mit strengeren Auflagen am Stadtrand stattfinden musste. Das bedeutet, dass zumindest das Laufpublikum im Stadtinneren von diesen gefährlichen und wirren Thesen verschont bleibt.
Am 9. Mai demonstrierten in der Nürnberger Innenstadt ca. 2.000 Corona-Leugner*innen darunter viele Antisemit*innen Hooligans und Nazis. Dagegen formierte sich am Wochenende darauf Widerstand. Das Bündnis Nazistopp organisierte eine Gegenkundgebung und die Verstrickungen zwischen extremer bis neonazistischer Rechter sowie den Corona-Protesten wurden verstärkt thematisiert. (Mehr Info bei Das Schweigen Durchbrechen)
Im Gegensatz zu den Corona Rebellen in der Nachbarstadt Nürnberg waren die Corona Rebellen Erlangen nicht von Anfang an von Rechts dominiert und mit organisierten und bekannten Neonazi-Kadern durchsetzt. Die nett-verschwurbelte Fassade konnte immerhin die Erlanger Nachrichten überzeugen, die einen verkürzenden und verharmlosenden Beitrag über die „Impfkritiker“ druckten, die doch nur „alternative Theorien über Krankheiten und ihre Entstehung“ diskutieren wollten. Doch auch auf der betreffenden Kundgebung wurden bereits Verschwörungstheorien über „die Rothschilds“, Bill Gates, George Soros und all die anderen gängigen antisemitischen Chiffren verbreitet. Bei der nächsten Kundgebung wurde zwar darum gebeten „positive Nachrichten zu verbreiten“, „man wolle niemanden anklagen“ – das hinderte jedoch eine der zentralen Figuren der Erlanger Corona Schwurbler*innern nicht daran, protestierenden Antifaschist*innen zu erklären, dass man gerade „im zweiten Holocaust“ leben würde. Ein anderer Kundgebungsteilnehmer wurde noch deutlicher und schwadronierte, dass es Gründe gäbe, warum „die Juden überall gehasst werden“. Spätestens in der darauf folgenden Woche fiel die Maske endgültig und die Spinner zeigten ihr rechtes Gesicht: Antifaschist*innen, die die Kundgebungen der Corona Rebellen dokumentierend begleitet hatten wurden von einer Person, die für die Schwurbler*innen bereits als Ordner aufgetreten war, in der Erlanger Innenstadt bedroht – ganz Erlangen hasse die Antifa. In der dazugehörigen Telegramgruppe wurde davon fantasiert, die Antifa GmbH/Gewerkschaft/Verein würde vom Staat bezahlt werden, dazu wurden Artikel der Jungen Freiheit und PI-News geteilt. Mit der Beteiligung von Frauke Peuker-Hollmann, Schatzmeisterin des AfD Bezirksverbandes Oberfranken, haben die Erlanger Corona Rebellen nun schließlich auch offiziell die Unterstützung von organisierten Rechten. Parallel zu dieser Entwicklung schwand jedoch die Teilnehmer*innenzahl der samstäglichen Kundgebungen der Schwur
bler*innen. Waren bei der ersten großen Veranstaltung am Rathausplatz noch knapp 100 Personen anwesend waren es letzten Samstag nur noch etwa 50 Personen. Die Polizei indes macht klar, wo sie die Störung des öffentlichen Friedens sieht: dokumentierende Aktivist*innen werden von der Polizei schikaniert, unter einem Vorwand wurden gar die Personalien einer Person aufgenommen.
Auch in Rosenheim gehen seit mehreren Wochen sogenannte „Corona-Rebellen“ auf die Straße. Während die ersten unangekündigten „Spaziergänge“ noch ohne eine Beteiligung von organisierten Rechten abliefen, waren bei der ersten größeren Kundgebung am 9. Mai auch rechte Akteure Anwesend. So wurden unter den bis zu 400 Protestierenden neben SympathisantInnen der „Identitären Bewegung“ sowohl Politiker der AfD wie Andreas Kohlberger als auch Neonazis wie Joachim Elbrunner („Die Rechte“) erkannt. Auch bei den unangemeldeten „Spaziergängen“ vergangenes Wochenende nahmen diese wieder Teil, nur Andreas Kohlberger war nicht mehr Anwesend. Dafür wurde aber sein Parteikollege Christian Demmel erkannt. Mangels einer offiziellen Anmeldung und eines Versammlungsverbot in der Innenstadt nahmen am vergangenen Wochenende allerdings nur bis zu 40 Personen an den Protesten teil. Inhaltlich waren die Aktionen von dem ähnlichen kruden Mix aus Esoterik, Verschwörungsideologien und Reichsbürgersprech geprägt, den wir schon aus anderen Städten kennen. Das Recherchekollektiv „AfD-Watch Rosenheim“ hat sich näher mit den Hintergründen der Rosenheimer „Corona-Rebellen“ auseinandergesetzt: Verschwörungstheorien, Reichsbürger und die Rosenheimer AfD und Analyse zu den Rosenheimer Corona-Rebllen
Zu größeren Gegenprotesten kam es bisher nicht. Allerdings kritisierten bei der Kundgebung am 9. Mai einige Antifaschist*innen mit einem Transparent den Antisemitismus vieler Teilnehmenden. Außerdem kam es wohl zu Eierwürfen gegen einige Schwurbler. Für die nächsten Wochenenden sind wieder nicht angemeldete Versammlungen der „Corona-Rebellen“ angekündigt. Zudem zeichnet sich ab, dass es zu einer durch die AfD angemeldeten Kundgebung der Verschwörungstheoretiker*innen in Rosenheim kommen könnte.
In München entwickelten sich die Aktionen gegen die Infektionsschutzmaßnahmen über die letzten Wochen von kleineren Versammlungen zu großen Kundgebungen mit Teilnahmezahlen im unteren vierstelligen Bereich. Am 9. Mai versammelten sich statt der erlaubten 80 Personen etwa 3.000 Menschen auf dem Marienplatz. Über Telegram-Gruppen wurde ein breites Spektrum mobilisiert, in dem sich ein Menge Impfgegner*innen und Anhänger*innen von Verschwörungsideologien tummelten und das sich an der Teilnahme von zahlreichen Leuten die erkennbar dem extrem rechten und neonazistischen Umfeld angehörten, nicht störte. Nicht allein die „Wir sind das Volk“- und „Widerstand“-Rufe erinnerten an die ersten Gehversuche der lokalen Pegida-Ableger. In der Folgewoche wurde die Versammlung auf die Theresienwiese verlegt, die Teilnahmezahl auf 1.000 begrenzt und der Zugang durch die Polizei kontrolliert. Eine größere Anzahl von Leuten versuchte außerhalb des gesperrten Bereichs zu demonstrieren, darunter erneut zahlreiche Rechte.
Nachdem die Demo in Würzburg in der Woche zuvor gespalten war und einige Dutzend auf den Mainwiesen und weitere etwa 150 auf dem Unteren Markt demonstrierten, wurde ihnen am letzten Samstag die Demonstration in der Innenstadt untersagt. Auf drei Versammlungsflächen aufgeteilt fanden sich schließlich in der Spitze knapp 140 Menschen ein. Die großen Quadrate waren kaum gefüllt. Die meisten Teilnehmer*innen standen auf der Straße, hielten den Mindestabstand nicht ein und verzichteten auf Mundschutz.
Die Versammlungen waren thematisch unterteilt. Neben zwei eher hippie-dominierten Flächen gesellten sich zur dritten Versammlungsfläche auch die AfD-Stadtratskandidat*innen Silvio Kante und Erika Lenz. Bei dieser Versammlung waren mehrere Rechte mit Deutschlandsymboliken erkennbar. Es wurde keine einzige Rede gehalten. Inhalte der Demo drangen kaum an die Passant*innen durch. Die sehr heterogene Demonstration kann sich wohl kaum auf Inhalte einigen.
Zu sehen waren – trotz Ermahnungen der Veranstalter*innen – Deutschlandklamotten und Symbolik mit Bezugnahme auf die QAnon-Verschwörungstheorie.
Vielerorts gibt es Gegenwind für die „Corona-Rebellen“. Im Netz, auf der Straße oder im Alltag: Get Active!