Die George-Floyd-Proteste und Polizeigewalt in den USA.
Noch in der Nacht nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd in Minneapolis brachen Ende Mai 2020 in vielen Städten der USA Proteste aus, die sich rasant ausbreiteten. Es formierte sich eine riesige soziale Bewegung gegen Rassismus und Polizeigewalt, die weit über die USA hinaus wirkte. Wir haben uns mit einem Black-Lives-Matter-Aktivisten aus Washington DC über den Sturm auf das Kapitol, die Folgen der Trump-Präsidentschaft und die Auswirkungen der BLM-Proteste unterhalten.
Während der George-Floyd-Rebellion ist die Polizei sehr schroff und brutal gegenüber Aktivist*innen aufgetreten. Während der Stürmung des Kapitols hingegen machten sie dem rechten Mob den Weg frei. Wie würdest du die politische Rolle der Polizei innerhalb der letzten Monate bewerten?
Meine Antworten kommen aus einer teilweise akademischen Position, vor allem aber aus der eines Schwarzen Mannes in den USA und eines Aktivisten, der für Gerechtigkeit gekämpft hat. Das ekelhafte Nichtagieren der Polizei gegenüber diesen rechten Aufständischen, die das Kapitol gestürmt haben, ist nichts Neues. Weder in diesem Moment, noch jemals in seiner Geschichte, hat sich dieses Land um das Problem weißer Vorherrschaft gekümmert. Die Rolle der Polizei in dieser Gesellschaft ist fast immer eine statische: sie erhält eine rassistische Hierarchie aufrecht und nutzt ihre Macht, um Ungerechtigkeit zuzulassen. Die moderne Institution der Polizei, wie wir sie heute in den USA sehen, entstand aus Sklavenfänger-Patrouillen und ihre Rolle, Rassismus zuzulassen und zu perfektionieren, ist über die Geschichte der USA hinweg konstant geblieben.
Um es konkreter zu machen: die Bullen (Schweine ist wahrscheinlich der passendere Begriff) in D.C. haben einem Mob erlaubt, zu versuchen, das Kapitol zu übernehmen, weil sie sich durch diesen nicht bedroht gesehen haben. Dieser Mob stand für Rassismus, Brutalität, Faschismus und Gewalt, und weil das in der DNA der Polizei in den USA steckt, fühlten sich die Schweine wie zu Hause. Nicht zu handeln ist immer auch ein Handeln, und daher sind die Schweine in D.C. (und überall) verantwortlich zu machen.
Zuletzt bin ich aber dankbar darüber, dass die Leute diese Heuchelei durchschauen. Mein Bruder wurde gepfeffert, während er gegen die Tötung Schwarzer Menschen protestierte, zugleich ist den rechten Auständischen so wenig passiert. Eigentlich braucht es gar keine Worte dafür – beschissene Bullen, die ein korruptes System unterstützen, sprechen für sich selbst.
Das Verhalten der Sicherheitskräfte wirkt widersprüchlich. Man konnte sehen, wie die Polizei Trump-Unterstützer*innen vor dem Kapitol den Weg frei machte, andererseits wurden viele der Beteiligten in den darauffolgenden Tagen festgenommen und mindestens eine Person wurde von Sicherheitskräften erschossen. Auch bei BLM-Protesten schienen unterschiedliche Polizeieinheiten ganz anders aufzutreten. Wie lässt sich das erklären? Welche Unterschiede gibt es zwischen den Einheiten auf Bundes- und Staatsebene?
Ich denke das ist eine ausgezeichnete Frage, und meine Antwort ist bestenfalls eine Vermutung. Ich glaube, dass der wichtigste Grund, warum die Antwort der Polizei auf den rechten Mob widersprüchlich war, vor allem darin liegt, dass die Verantwortlichen wirklich überrascht waren. Es existiert eine Mauer zwischen den Regierungsbeamt*innen (der herrschenden Klasse) und dem Rest von uns, und dieser rechte Mob ist durch diese Mauer gebrochen. Beamt*innen wurden aus ihren Büros verjagt, es gibt Berichte von Mitarbeiter*innen, die vor Angst in Tränen ausgebrochen sind, und das alles brachte klar zum Ausdruck: »Die Probleme dieses Landes können euch treffen.« Rassismus war für die Mehrheit in diesem Land immer eine sehr kleine Sorge, aber sobald er – gepaart mit Faschismus und Verzweiflung – eine Gruppe von Menschen dazu brachte, die unausgesprochene Übereinkunft von »die Reichen und Mächtigen dürfen nicht gestört werden« zu brechen, musste etwas getan werden. Deswegen wurden die etwa 200 Menschen auch NACH den Aktionen des Mobs verhaftet. Wir leben in einer vorsätzlich ignoranten Gesellschaft, und das ist die Grundlage dafür, dass all das so weiter geht. Die Polizei in D.C. war vorsätzlich ignorant gegenüber Trumps Handeln und der Gefahr durch diesen Mob, da dieser sie nicht bedroht hat. Wie ich sagte, die Polizei selbst wurde nie bedroht, und daher ist ihre sorglose Haltung gegenüber dem Mob gerechtfertigt. Es war nur der Moment, nachdem die herrschende Klasse physisch in Gefahr gewesen ist, dass irgendjemand Notiz nimmt und sie zur Rechenschaft zieht. Der daran anschließende Punkt, den ich klar machen will: Die Polizei, auch wenn sie Teil der Regierung ist, ist nicht immer »eins« mit der Regierung. Die Institution der Polizei in den USA ist so rassistisch und böswillig, dass sie oft ihre eigenen Ideologien und Prinzipien verkörpert. Polizeiarbeit ist geleitet durch einen rauen Ethos von Gewalt, Rassismus und ein enormes Misstrauen gegenüber Menschen (erneut, insbesondere BIPoC), selbst wenn sich die aktuelle Regierung in diesen Werten unterscheidet. Auch wenn das in den USA nie mehr als ein gradueller Unterschied ist.
Wie wirkte sich die Präsidentschaft Trumps auf die Polizei aus? Wie groß sind die Sympathien für Trump in der Polizei?
Es gibt gewisse Unterschiede zwischen der Regierung und der Polizei. Ich glaube schon dass Trumps Präsidentschaft die polizeiliche Praxis negativ beeinflusst hat. Ich würde sagen, Bullen verkörpern ein hypermaskulines, rassistisches, gewaltsames, faschistisches, klassistisches Wertesystem (um nur einige Grundsätze polizeilicher Arbeit zu nennen) – ich glaube das gleiche gilt für Trump. Durch eine Normalisierung solcher Wertevorstellungen fühlen sich Bullen enthemmt, was zu einem der Jahre mit den meisten öffentlich wahrgenommen Morden an Schwarzen meines Lebens führte. Dafür ist Trump meiner Ansicht nach verantwortlich zu machen, denn selbst wenn lokale Regierungen versuchen sich fortschrittlich zu geben, beispielsweise indem verpflichtend Bodycams eingesetzt werden, ändert das nichts an den Verhältnissen. Die Wertevorstellungen der Cops, in denen sie von Trump bestärkt werden, wiegen schwerer als lokale Gesetzgebungen. Was dann zu einer ausgeschalteten Bodycam und einem weiteren toten Menschen führt.
Beim Sturm auf das Kapitol waren auch Angehörige der Armee beteiligt. Wie ist das Verhältnis zwischen der extremen Rechten und dem Militär? Welche Überschneidungen gibt es dort?
Eine gute Frage zu der ich auch nur Vermutungen anstellen kann. Ich weiß, dass es sozialstrukturelle Überschneidungen zwischen dem Militär und der Rechten gibt und dass das Militär als rassistische und imperialistische Institution eine gute Rekruktierungsbasis für Rechte ist. Wie stark rechte Gruppen konkret im Militär verankert sind, weiß ich jedoch nicht aus dem Kopf.
Im Jahr 2020 starben in den USA 1127 Menschen durch Polizeigewalt. Die Gefahr von Bullen getötet zu werden ist für Schwarze dreimal so hoch wie für Weiße. Dieser mörderische Rassismus wurde durch die George-Floyd-Rebellion wie kaum zuvor ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Die Institution Polizei wurde offensiv in Frage gestellt. Von Außen wirkte es, als wurde zumindest für kurze Zeit ein Möglichkeitsfenster erkämpft. Es waren Forderungen und Positionen mehrheitsfähig, die Wochen zuvor völlig unrealistisch schienen. Welche Auswirkungen durch die BLM-Proteste – und die rechte Gegenmobilisierung – auf die Polizei sind nachhaltig absehbar?
Die Frage ist super. Es ist großartig, was die George-Floyd-Proteste ermöglicht haben. Der erste und größte Schritt, den die Proteste gemacht haben, ist, wie ihr gesagt habt, das Möglichkeitsfenster zu erweitern. Forderungen wie „defund the police“ wurden zu einer echten politischen Strategie.
In New Mexico etwa wurde das Prinzip der „Qualified Immunity“ abgeschaft, was im wesentlichen eine Praktik ist, die jede Möglichkeit einer rechtlichen Verfolgung von Beamt*innen blockiert. Das bedeutet zumindest in der Theorie, dass wenn in New Mexico in Zukunft jemand von einem Bullenschwein abgeknallt wird, dieses Schwein nicht einfach seinen Job gemacht hat, sondern sich vor Gericht für einen Mord verantworten muss. Außerdem werden der Polizei in vielen Staaten die Budgets gekürzt, bei vielen Notfällen werden jetzt nicht mehr Bullen, sondern psychologisch geschultes, medizinisches Personal geschickt. Auch wurde der Einsatz von Rauchgranaten vielerorts verboten.
Ich will nicht zu viel Optimismus verbreiten. Reformwellen bei der Polizei gab es bereits in den Neunzigern, nachdem der Fall Rodney King die LA Riots ausgelöst hatte, sowie nach der Ermordung von Trayvon Martin 2012. All diese Reformen haben nichts am Polizeiproblem geändert. Ich glaube auch nicht daran, dass eine Gesetzgebung zur besseren Kontrolle der Polizei wirklich effektiv sein kann, deshalb sollte man die Erfolge auch nach anderen Gesichtspunkten bewerten. Wir haben durch diese Revolten gelernt, 1) dass die Zerstörung von Eigentum, vor allem durch Massenmilitanz, sehr effektiv ist, um politischen Druck aufzubauen, 2) wie man eine Bewegung aufbaut, die Schwarze Menschen in den Mittelpunkt stellt, 3) dass die Kämpfe NACHDEM die Menschenmassen wieder nach Hause gegangen sind, vor allem lokale Kämpfe sind, die von den Communities vor Ort getragen werden und 4) dass wir nichts zu verlieren haben, als unsere Ketten.
Das könnte ich noch ewig ausführen und eine ganze Arbeit darüber schreiben, wo uns diese Kämpfe in der Zukunft hinführen werden, aber ich will es hierbei belassen.
In der radikalen Linken in Deutschland haben vor allem zwei Fälle, die während den BLM Protesten stattgefunden haben, für Aufsehen gesorgt: Nachdem die Polizei Jacob Blake letzten August in Kenosha schwer verletzte, schoss ein White Supremacist auf drei linke Aktivist*innen – zwei davon wurden getötet. Die Polizei nahm den Täter nicht direkt fest, weshalb sich dieser von dem Tatort ohne Konsequenzen entfernen konnte. Wenige Tage später wurde die BLM Demonstration in Portland angegriffen, wobei der Antifaschist Michael Reinoehl auf einen White Supremacist schoss und diesen tötete. Als Reaktion darauf erschoss die Polizei Reinoehl unter dem Vorwand, er habe sich gegen seine Festnahme gewehrt. Zeug*innen berichteten davon, dass der Tod wie eine Hinrichtung durch die Polizei wirkte. Wie wurden diese Ereignisse in der BLM Bewegung wahrgenommen?
Ich erinnere mich an beide Vorfälle, aber leider kann ich nicht genau sagen, wechen Einfluss diese Ereignisse in der BLM Bewegung als Ganzes haben. Was ich allerdings weiß, ist, dass vielen meiner Freund*innen und Genoss*innen klar ist, ohne bestimmte Kämpfe wird es nicht zu einem Fortschritt kommen. Und, dass Gewalt notwendig ist, um white supremacists davon abzuhalten, durch linke Menschenmengen zu marschieren und uns zu erschießen. Ich kann aber auch sagen, dass die BLM-Bewegung sehr vorsichtig ist, meistens zu recht, manchmal auch nicht. Die Bewegung weiß eben sehr genau, wie gefährlich die Auseinandersetzung mit einem Staat und mit Leuten ist, die kein Interesse daran haben, dass du morgen noch atmest.