Ein Gespräch mit Robert Andreasch über die Anschlagspläne der Wiese-Gruppe und ein Landesamt außer Kontrolle.
Am 9. November 2003 wurde feierlich der Grundstein für das neue jüdische Gemeindezentrum und die Synagoge am Münchner St.-Jakobs-Platz gelegt. Zwei Monate zuvor waren Neonazis aus der Kameradschaft Süd um Martin Wiese festgenommen worden, die einen Anschlag auf die Grundsteinlegung ins Auge gefasst haben sollen. Bei Durchsuchungen wurden Sprengstoff und Waffen entdeckt. Der damalige bayerische Innenminister Günther Beckstein sprach von einer »Braunen Armee Fraktion«. Zu den Hintergründen der antisemitisch motivierten Anschlagsüberlegungen der Neonazis haben wir mit dem Journalisten Robert Andreasch gesprochen.
Kannst du uns einen groben Überblick über die Münchner Naziszene zu Beginn der 2000er geben?
Ende der 1990er Jahre bis Anfang des neuen Jahrtausends war die neonazistische Organisierung so, dass sich verschiedene Vereine, Kleinstparteien und Neonazigruppen abgelöst haben. In den 90er Jahren waren das noch das »Deutsche Jugendbildungswerk«, die neonazistische Kleinpartei »Nationale Offensive«, der »Nationale Block« oder der sog. »Freizeitverein Isar 96«. Dann kamen Skinhead- und Neonazikameradschaften, die auch in der Stadt sehr viel Terror und Gewalt ausgeübt haben, wie die »Skinheads Süd« oder »Skinheads Sendling«, der »Kampfbund Deutscher Sozialisten«, die aus »Blood&Honour«-Kreisen stammenden »Bloodbrothers« und letztenendes die Organisation, die Martin Wiese in München angeführt hat, die »Kameradschaft Süd«. In dieser Kameradschaft, einer politisch nach außen auftretenden Neonazigruppe, gab es eine konspirative Parallelstruktur, die sog. »Schutzgruppe«. Gleichzeitig hatten andere Aktivisten, die wir heute noch kennen, wie Roland Wuttke, auch Organisationen wie »Demokratie direkt«, mit denen sie oft in die Öffentlichkeit getreten sind. So, wie man das heute kennt – dass es ständig Infostände und kleine Kundgebungen von Neonazis gibt – das war damals etwas Besonderes. Da waren Neonazis im öffentlichen Bild vor allem noch als Schläger auf der Straße präsent. Wir haben also auf der einen Seite die »Demokratie direkt«-Schiene und auf der anderen Seite die Kameradschaft Süd um Martin Wiese, die zudem sehr eng an der NPD war. Die Kameradschaft Süd war eine politisch in die Öffentlichkeit tretende Gruppe, Martin Wiese hat NPD-Infostände und Demokratie Direkt Infostände durchgeführt, sie „geschützt“ usw. Ähnlich wie heute ließ es sich oft personell nicht auseinanderhalten, auch wenn es verschiedene Labels gab. Offensichtlich gab es aber gleichzeitig auch die militanten und terroristischen Planungen. Was man genausowenig vergessen darf, sind die internationalen Neonazinetzwerke, die bis nach München gereicht haben. Das seit Ende der 1980er Jahre bestehende »Blood&Honour« Netzwerk gab es natürlich auch in Bayern. Das hat die Naziszenen Thüringens und Bayerns ab Mitte/Ende der 1990er Jahre eng verbunden und war hier super aktiv mit zwei Sektionen. Wir wissen auch, dass auch in Bayern das terroristische Netzwerk von Combat 18 vertreten war (und ist). Blood&Honour ist im Jahr 2000 verboten worden. Aber das hat die Organisation, die ja eh immer einen konspirativen Charakter hatte, nicht gebremst. Danach sind diverse Nachfolgeorganisationen unter verschiedenen Labels aufgetreten. Kaum bekannt ist, dass es zur damaligen Zeit auch »Ku Klux Klan«-Strukturen in Bayern gab.
Das ist also die Naziszene Ende der 1990er: eine politische Szene macht quasi Kampagnen in München und dieselbe Naziszene, die diese Kampagnen begleitet, organisiert auch Militanz und Terror. Die Kampagne der Münchner Rechten war damals: am St.-Jakobs-Platz muss der Parkplatz bleiben. Das war natürlich vorgeschoben, die hatten keinen Bock auf eine Synagoge. Es gab zu diesem Thema Infostände von rechts und auf die Kommunalwahl bezogene Veranstaltungen gegen die Bebauung am St.-Jakobs-Platz. In der selben Naziszene wie Pro München oder Demokratie Direkt wurde anscheinend auch an mehr gedacht, also dass man die Grundsteinlegung eventuell angreifen könnte.
Es gibt einige Unterschiede zur heutigen Naziszene, etwa die Bedeutung der Kameradschaften. Was hatte es mit diesem Konzept auf sich?
Die Neonaziszene hat zunächst sehr lang auf Parteien gesetzt. Nicht auf das Herausbilden einer Großpartei, sondern durchaus auf dezentrale Organisierung, aber im Prinzip auf Parteien. Man wollte eine Wiederzulassung der NSDAP oder ein Remake von NSDAP-Strukturen aufbauen. Man war auch nicht abgeneigt – nachdem die NPD 1969 nicht in den Bundestag kam und dann sukzessive aus den Landtagen flog – durchaus noch an Wahlen teilzunehmen, auch wenn man vom Parlamentarismus nichts hielt. Viele der Parteien haben an Wahlen teilgenommen, zum einen weil sie den Parteienstatus erhalten wollten, zum anderen weil sie wirklich in die Parlamente wollten. Da haben sich in wilder Folge Parteien abgewechselt, die teilweise verboten wurden. Der Anfang der 1990er Jahre ist dadurch gekennzeichnet, dass zum ersten Mal staatliche Strukturen erheblich gegen die extreme Rechte vorgegangen sind – in Teilen, nicht überall, vor allem nicht bei Pogromen und Aktionen – aber zum Beispiel, indem die neonazistischen Parteien nach und nach verboten wurden: insbesondere die FAP (Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei), die alten Strukturen der GDNF (Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front) und, in Bayern, der Nationale Block.
Die NPD war offensichtlich zu wenig aktivistisch, die hat ja immer noch den Ruf der Altherrenpartei, und nach den Parteiverboten haben damals Neonazis um Christian Worch gesagt: als Partei sind wir zu angreifbar.
Parteien haben Mitgliederlisten, haben Orts-/Kreisvorsitzende, haben erkennbare Strukturen, haben Kandidat*innen bei Wahlen. Das ist juristisch viel zu riskant. Daher wurde das Konzept von Kameradschaften und Freundeskreisen kreiert, die nicht über eine juristische Vereinsstruktur verfügen, auch nicht über eine Parteistruktur. Diese Strukturen sollten kleiner sein, eher dem Konzept Netzwerk oder dem Konzept Zellenbildung entgegenkommen und juristisch unanfechtbar sein, ohne klare Mitgliedszuerkennung. Teils hat das gestimmt, weil so neonazistische Skinhead-Subkulturszenen lockerer angebunden werden konnten, die für Parteiarbeit eher nicht zur Verfügung gestanden wären, aber durchaus mal zum Kameradschaftsabend und Stammtisch vorbeikamen.Damit waren alle zufrieden – die Nazis hatten ihre straff organisierte Struktur und die staatlichen Behörden konnten sagen, die Parteien haben wir alle verboten, an die Kameradschaftsszene kommen wir leider juristisch nicht ran. Erst als später auch Organisationen, Vereine und Kameradschaften verboten wurden, wurde das Parteikonzept wieder spannend. Nazis haben mit dem Dritten Weg oder Die Rechte wieder angefangen, sich als Partei zu formieren, weil sie im NPD-Verbotsverfahren nach zwei gescheiterten Versuchen gemerkt haben, dass eine Partei ganz schön unverbietbar ist.
Ihre Befürchtungen aus den 90ern haben sich also nicht bewahrheitet. Man muss dazu juristisch wissen, dass die Parteien in den 90er Jahren nicht nach einem Parteiverbot verboten wurden. Das wäre schwierig gewesen, wie wir aus dem NPD-Verbotsverfahren wissen. Das Innenministerium und einige Gerichte haben in den 90ern schlicht bestritten, dass es sich bei den neonazistischen Parteien wirklich um Parteien handelt. Als Parteien nicht mehr den Schutz geboten haben, sind die Neonazis also zu Kameradschaften gewechselt und als Kameradschaften nicht mehr den Schutz geboten haben, haben sie nach dem NPD-Verbotsverfahren das Organisationsmodell Partei wiederentdeckt. Wobei man sagen muss, dass das beim Dritten Weg nur ein Mäntelchen ist. Der Dritte Weg tritt fast nie zu Wahlen an, hat kein Interesse am Parlamentarismus und hat außer in Plauen für die Stadtratswahl überhaupt kein politisches Programm für Wahlen und Parlamente. Das sind ausgewiesene Antiparlamentarier*innen, die sich da auch gar keine Mühe geben.
Zurück zur Organisationsstruktur der Kameradschaftszene um die Jahrtausendwende: das war in München gar nicht richtig zu trennen von der NPD. Bei den Infoständen und Kundgebungen standen eigentlich mehr oder weniger immer dieselben Leute, nur das Label hat gewechselt. Das war durchlässig. Wenn Renate Werlberger angemeldet hat, war es die NPD, wenn es der Wiese gemacht hat, war es Kameradschaft Süd, wenn es der Wuttke angemeldet hat war es Demokratie Direkt. Letzten Endes war es überwiegend der gleiche Kreis.
Du hast vorhin die Schutzgruppe innerhalb der Kameradschaft Süd erwähnt. Was hat es damit auf sich, was war deren Rolle?
Nach Aussagen der Nazis gab es innerhalb der Kameradschaft Süd nochmal eine eigene parallele, konspirative, letztendlich terroristische Struktur, in der nicht alle Kameradschaftsmitglieder mitmachen durften. Das kann natürlich eine reine Schutzbehauptung sein: die meisten Nazis haben ausgesagt, in die Schutzgruppe seien sie leider nie aufgenommen worden, oder sie seien aus der Schutzgruppe rausgeschmissen worden und waren damit juristisch raus aus der Sache. Die Entwicklung dieser Parallelstruktur hat dazu geführt, dass letzlich nur ganz wenige Mitglieder der Kameradschaft Süd vor Gericht gelandet sind.
Es ist nicht die Kameradschaft Süd als terroristische Vereinigung angesehen worden, sondern nur die Schutzgruppe innerhalb der Kameradschaft Süd und dort auch nur Leute, die zu einem gewissen Zeitpunkt dabei waren. In der Schutzgruppe sind allerdings definitiv die gewesen, die mit Wiese paramilitärisch trainieren gegangen sind. Der Name Schutzgruppe deutet ja an, dass es um den Schutz von Veranstaltungen gehen sollte – es ist schwierig zu sagen, ob das nur eine Verharmlosungsstrategie war oder ob die das tatsächlich auch tun sollten. Letztlich war es aber von Anfang an eine elitäre oder militantere Parallelstruktur. Es kann ja auch eine Tarnung sein zu sagen, wir trainieren paramilitärisch, aber es dient dem Schutz der eigenen Strukturen und nicht dem Angriff.
Aus dem Umfeld der Wehrsportgruppe Hoffmann gab es vor vierzig Jahren mehrere Attentate. Inwieweit sah sich die Schutzgruppe respektive die Kameradschaft Süd in dieser Tradition? Sie führten ja auch Wehrsportübungen durch.
Die Wehrsportgruppe Hoffmann ist selten ein öffentlicher Bezugsrahmen, bis heute nicht. Es mag sein, dass die WSG intern irgendeine mythische Bedeutung hat, aber die Naziszene bezieht sich in der Öffentlichkeit fast nie auf sie. Zumindest die Politnazis tun das meistens nicht. Von manchen wird in sozialen Medien Hoffman der Chef genannt, aber wenn er Veranstaltungen macht, kommen große Teile der Naziszene nicht. Hoffmann ist eingebunden in Nazikreise, das zeigte sich bei Die Rechte oder als es damals um die Sprengstoffermittlungen in ostdeutschen Kreisen ging. Aber er schart jetzt nicht gerade viele Jünger um sich.
Ich bin aber überzeugt, dass eine terroristische Struktur Leute animieren kann, später auch eine zu bilden und dass terroristische Attentate ebenfalls Vorbildcharakter haben. Man muss gar kein persönlicher Fan der Wehrsportgruppe Hoffmann sein, aber dass es Gruppen gab, die sich organisiert haben, die sich was getraut haben, das färbt ab, das hinterlässt – so sagen wir bei NSU-Watch – ein Erbe. Ein reales, weil Erkenntnisse da sind, weil Waffen da sind, weil Wissen weitergegeben wird. Aber natürlich auch ein mythologisches, dass sich jemand getraut hat, dass man was tun kann, dass es schonmal geklappt hat, dass man aktiv werden kann.
Und das auch ein bisschen unabhängig davon, dass die Wehrsportgruppe Hoffmann und Karl-Heinz Hoffmann zum Teil auch schräg angeschaut werden in der Szene. Das liegt daran, dass die Wehrsportgruppe Hoffmann gar keine rechtsterroristische Organisation in dem Sinne ist, wie wir jetzt uns eine denken würden, sondern es ist umgekehrt: aus der Wehrsportgruppe Hoffmann sind Leute rechtsterroristisch aktiv geworden. Denn die Wehrsportgruppe Hoffmann war ja eben keine Untergrundstruktur, sondern ein Verein, in dem man Mitglied werden musste, und in dem man ein öffentliches Mitgliedsmagazin kaufen konnte. Das ist für eine Terrorstruktur ungewöhnlich. Und Hoffmann hat natürlich auf alle seine paramilitärischen Trainings mindestens einen Fotografen vom Stern oder so mitgeschleppt, weil er mindestens so mediengeil war wie heute etwa die IB. Das ist also kein konspirativer Laden gewesen. Das Schlimme war eher, dass sie es so offen gemacht haben und sie trotzdem verharmlost wurden. Und sie haben nicht nach dem Prinzip des Kleinkriegs gearbeitet. Die Attentate später schon, aber das, was die Wehrsportgruppe Hoffmann gemacht hat ist ja das Gegenteil. Sie haben eine Privatarmee gebildet, 400 Frauen und Männer unter Waffen genommen und sind in den Fränkischen Wäldern durchs Gehölz gerobbt. Sie haben nach dem klassischen Prinzip einer Armee auf dem Schlachtfeld mit Führer, Befehl und Gehorsam, mit der klassischen militärischen Stärke der Gesamtgruppe gearbeitet.
Eine rechtsterroristische Organisation oder Zelle begeht den Anschlag im Allgemeinen eher aus dem Verborgenen, mit einer Person oder wenigen – deswegen immer diese Einzeltätergeschichte, weil zur Tat logischerweise nicht alle hingehen, um nicht die Gesamtstruktur zu gefährden. Und sie begehen sie nicht als erkennbare Soldaten in Uniform mit Abzeichen, sondern vermummt, verkleidet, unerkannt. Die Wehrsportgruppe Hoffmannn hat nie mit 400 Leuten eine Kaserne oder eine Polizeistation in Franken angegriffen. Sondern einige in der Wehrsportgruppe Hoffmann Sozialisierte oder Trainierte haben nach dem Prinzip ganz anderer rechtsterroristischer Organisationen zugeschlagen. Es ist wichtig, diesen Unterschied zu betonen.
Im Umfeld der Kameradschaft Süd war ein V-Mann eingesetzt. Kannst du etwas zur Rolle von Didier M. sagen?
Didier Magnien ist ein Fallschirmjäger aus Frankreich, jedenfalls hat er sich als solcher ausgegeben. Nachdem es in Frankreich Parteienverbote gegeben hatte, war er dort in einer rechtsterroristischen Struktur aktiv. Es hat da nach Terrorattentaten der Unité Radicale Razzien, Verfahren und Verhaftungen gegeben und Magnien hat es nie erwischt, obwohl er ein Kopf der Truppe war. Es hätte einen stutzig machen sollen, dass er nie verurteilt wurde. Man muss davon ausgehen, dass er ein Geheimdienstmitarbeiter war, also eher kein Nazi, der bereit war zu berichten, im Sinne eines V-Manns, sondern ein verdeckter Ermittler.
Didier Magnien tauchte jedenfalls plötzlich in der Münchner Naziszene auf und wanzte sich an Magdalena Bordin, die Frau von Norman Bordin, Fred Eichner und viele andere ältere Nazis und über kurz oder lang an Martin Wiese ran. Er sei bei den Hammerskins Charlemagne, da könne man nachfragen. In München sei er, um ein Buch über den Islam zu schreiben. Mit seinen Waffenkenntnissen, seinen Butterfly-Messertricks und seinen Heldengeschichten hat er Wiese imponiert. Quasi von jetzt auf gleich hat der ihn in die Kameradschaft aufgenommen, wo Magnien nicht nur Eindruck geschunden hat, sondern den Nazis auch wirklich was beigebracht hat. So hat er die Münchner Naziszene auf die Idee gebracht, mehr Anti-Antifa-Arbeit zu machen und hat beispielsweise empfohlen, in den Infoladen Breisacherstraße einzusteigen, um den Computer zu klauen, was sie allerdings nie gemacht haben. Dann hat er den Nazis eine Liste Münchner Linker gegeben, mit Namen und Adressen. Im Prozess gab es später eine Aussage des Verfassungsschutzes, es wären dort nur Namen gesammelt, die als ViSdP (Verantwortliche im Sinne des Presserechts) auf Flyern stünden, das wurde allerdings widerrufen. Es ist nicht klar, ob die Liste vom VS kam oder ob Magnien sie selbst erstellt hat. Jedenfalls hat er die Anti-Antifa-Arbeit der Münchner und auch der Nürnberger Naziszene gefördert und sie richtig getrimmt. Er hat ihnen zum Beispiel eine Digitalkamera gegeben, damit sie Bilder von Linken machen können, zu einer Zeit als sonst noch niemand eine Digitalkamera hatte. Monika Stillger, die bei der Postbank arbeitete, hat er aufgefordert, die Einzahler auf dem Konto der Roten Hilfe München aufzuschreiben und wollte sie in Münchner und auch andere bayerische Antifastrukturen einschleusen.
Den Münchner Nazis erzählte er, er sei bei der Fremdenlegion gewesen. Das ist für einen französischen Staatsbürger schlichtweg nicht möglich, aber Wiese hat nichts gemerkt. Magnien hat also ganz schön viel riskiert und war richtig dreist. Zu den Nazis hat er gesagt, er hätte Geld geerbt, werde für die Arbeit an seinem Buch bezahlt, erhalte Arbeitslosengeld, bekomme als ehemaliger Fremdenlegionär irgendwas aufs Konto. Stattdessen bekam er sein Geld allerdings vom bayerischen Landesamt für Denkmalpflege überwiesen, da der VS für seine Arbeit offenbar auch andere Behördenstrukturen nutzen darf.
Mit seinem Auto ist Magnien nach Brandenburg gefahren zu Wieses Waffenkäufen und hat damit definitiv Beihilfe zur Bewaffnung der Münchner Naziszene geleistet. Diese Pistolen, 6 Stück, sind immer noch weg, bzw. befinden sich in der Münchner oder der sonstigen deutschen Naziszene. Und das sind ja nur die Sachen, die ermittelt werden konnten. Wir wissen nicht, was die sonst noch gemacht haben. Magnien war auch dabei, als sie alte Granaten gesucht und aufgesägt haben, um Sprengstoff zu entnehmen. Der VS hat also an Bewaffnung und Sprengstoffbeschaffung teilgehabt und daran, dass die Liste Münchner Linker weitergegeben wurde. Bis heute ist niemand zur Rechenschaft gezogen worden dafür, dass da Linke in Lebensgefahr gebracht wurden – das muss man einfach so sagen. Die Anwältin von Martin Wiese hat im Prozess natürlich gesagt, es hätte einen Agent Provocateur gegeben, ohne den ihr Mandant nie was mit Waffen gemacht hätte. Das kann und will ich nicht einschätzen, denn Magnien wusste ganz genau, auf was Wiese scharf ist, also mit was er ihn kriegt. Zum Beispiel eben diese Waffengeschichten. Im Prozess ist er fast als Entlastungszeuge aufgetreten, hat die Nazis verharmlost und in Schutz genommen.
Günther Beckstein hat es damals als Beispiel erfolgreicher Arbeit mit menschlichen Quellen dargestellt, nachrichtendienstliche Arbeit hätte einen Terroranschlag verhindert. Allerdings wusste man damals ja gar nicht von Magnien von den Anschlagsplanungen. Aufgeflogen waren diese, weil es nach dem Überfall auf einen Nazi-Aussteiger Razzien gab, bei denen die ersten Hinweise auf die terroristischen Aktivitäten gefunden wurden. Man kann schon sagen, dass er das später offenbart hat, der VS Bayern hat da aber ein unfassbar schmutziges Spiel gespielt und das ist nie so richtig Thema geworden. Beckstein bezeichnete Magnien immer als V-Mann, weil man dann nicht dafür verantwortlich ist, was er als Nazi treibt. Es hört sich schlecht an, wenn ein verdeckter Ermittler des bayerischen Landesamts Waffen für die Münchner Naziszene kauft. Daher das Wording mit dem V-Mann.
Im Nachhinein wurde bekannt, dass Magnien schon länger in der bayerischen Naziszene unterwegs war. Er hat in den 90er Jahren in Sinning bei Neuburg an der Donau auf dem Gelände von Anton Pfahler gelebt, einem ehemaligen Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann, und hatte dort eine Nazi-WG mit Norman Kempken, Jan Zobel und anderen bundesweit wichtigen Nazis. Das Haus war bei einer Razzia von unten bis oben voll mit Militärgerät, Sturmgewehren und Tellerminen. Infolgedessen gab es Verurteilungen. Die Nazis haben natürlich im Nachhinein geahnt, dass Magnien sie auch in Sinning verpfiffen hat. Der Anwalt Herzogenrath-Amelung, der auch bei früheren Prozessen beteiligt war, hat im Wiese-Prozess immer so Andeutungen gemacht. Dem muss da klar geworden sein, dass Magnien wohl auch schon früher ein Spitzel war.
Dass der VS später so getan hat, als sei Magnien nicht aufzufinden, da er sich vor den Nazis verstecken müsse, kommt mir etwas absurd vor. Ich hab mal mit versucht, für einen ARD-Beitrag Kontakt zu Didier Magnien aufzubauen und ich hab 5 Minuten gebraucht, um ihn zu finden.
Wie sah denn die öffentliche Resonanz nach der Aufdeckung der Anschlagspläne aus?
So wie immer: es hat einen großen Aufschrei über die terroristischen Attentatsplanungen gegeben, der dann schnell wieder in Vergessenheit geriet. Die Behörden haben sich unfassbar dafür gelobt, dass es quasi der VS war, der den Anschlag verhindert hat. Das finde ich auch deswegen komisch, weil die Nazis ausgerechnet im Punkt der Anschlagsplanung später freigesprochen wurden. Und dass die Aktivitäten von Didier Magnien natürlich höchstproblematisch waren, ist eigentlich von kaum jemand angesprochen worden. Günther Beckstein hat damals gesagt, dass das ja kein Kardinal sei, sondern halt ein Nazi, den sie als Quelle gewinnen konnten, so als sei das eine moralische Frage. Es wurde nie darauf eingegangen, dass er wegen der Waffen erst nach Monaten der Münchner Polizei Bescheid gegeben hat. Klar, die wollten keine Razzia, solange er da noch Infos bekommt. Das ist schon ein richtig krasses Spiel auf dem Rücken der Münchner Linken gewesen und das in einer Zeit, in der es in Bayern dann auch Morde gab, nicht nur die des NSU. Dass der VS seine Quelle an eine höchstgefährliche Naziszene pflanzt, erinnert massiv an den Thüringer Heimatschutz und die Herausbildung des NSU. Und im Fall des NSU wurde da überhaupt nichts zerschlagen. Im Fall München gab es dann halt die Razzia zwei Monate vor dem 9. November, eine eventuelle militante Aktion hat man damit verhindert, aber es gab ja neben dem St.-Jakobs-Platz noch weitere militante Planungen, beispielsweise kam ein Attentatsplan auf eine griechische Schule im Prozess zur Sprache. Und auch wenn Wiese heute eher weg ist aus der bayerischen Naziszene (und in M-V aktiv), sind Beteiligte wie Statzberger nach wie vor hier engagiert dabei. Im Nachhinein wurde dem nicht richtig das Handwerk gelegt. Und es wurde nicht die Gesamtverantwortung gesehen, dass eben NPD, Wuttke und Pro München Stimmung gemacht haben gegen den Bau am St.-Jakobs-Platz und dass Wiese immer mit denen unterwegs war und es letztendlich umgesetzt hat. Bei den Veranstaltungen von Wiese und der Kameradschaft München waren auch immer Leute am Start, die heute in der AfD umtriebig sind. Es gibt also einen extrem rechten Sumpf mit einem gewissen Personenpotential. Gleichzeitig diese Rede von einer konspirativen Schutzgruppe, von der die anderen nichts wussten. So ist man von Seiten der extremen Rechten aus dem Schneider, aber natürlich auch von Seiten der Stadtgesellschaft, weil es dann eben diese sechs zum Terror bereiten Nazis gibt, die aus dem Verkehr gezogen werden.
Wenn man jetzt mal die ganze Struktur ansieht: eine Münchner Naziszene fährt nach Brandenburg und kauft Waffen. Es gibt also offensichtlich auch einen der Naziszene aufgeschlossenen Waffenhändler, der illegal Waffen verkauft. Dann ist schon die Frage, ob das zum Beispiel eine Struktur ist, über die auch der NSU Waffen bezogen hat. Dem müsste man nachgehen, das ist aber nie wirklich passiert.
Es suchen viele Leute Bezüge zwischen den terroristischen Organisationen von Wiese und dem NSU. Das lässt sich leicht ideologisch und auch irgendwie über die Netzwerke und Bekanntschaften und die nahegelegenen Bundesländer begründen, aber wir kennen keine direkte Bezugnahme des inneren NSU Zirkels und der Wiesegruppe. Es wird oft der aus der SZ stammende vermeintliche Beweis zitiert, dass Martin Wieses WG quasi am Tatort der Ermordung von Boulgarides gewesen sei. Das stimmt zwar geographisch, passt aber zeitlich nicht, da Boulgarides erst weit nachdem die Nazis aus der Wohnung geflogen waren dort seinen Laden eröffnet hat. Bei den hunderten Bezügen, die wir zwischen der Münchner, Thüringer, Zwickauer, Jenaer und Chemnitzer Neonaziszene haben, finden wir diesen direkten Bezug von Wiese und NSU nicht. Aber das muss nicht heißen, dass es ihn nicht gab.
In die Richtung geht auch die nächste Frage: Während der Aktivitäten der Kameradschaft Süd lief die Mordserie des NSU. Gibt es Einschätzungen, inwieweit die Strukturen mit dem Unterstützungsnetzwerk des NSU verbandelt gewesen sein könnten? Die Vermischung von Rechtsrock und Politik, subkultureller Erlebniswelt und Aktionen auf der Straße erinnert ja an das Umfeld des NSU.
Du kannst das Netzwerk ganz leicht aufmalen. Es gab ja nicht nur die Kameradschaft Süd, sondern eine bayernweite Struktur, die AG Bayern als Dachverband der Neonazikameradschaften und im Raum Nürnberg die Fränkische Aktionsfront. Die Nürnberger Nazis sind ja in engster Verbindung mit dem NSU, das NSU-Kerntrio war in Nürnberg bei den Veranstaltungen in der Tiroler Höhe und Matthias Fischer und Co. und die Tiroler Höhe stehen auf der privaten Telefonliste von Uwe Mundlos. Das Ausspähen des Tatorts Sunshine Pub für den Bombenanschlag 1999 ist definitiv von Nürnberger Neonazis vorgenommen worden und bei den Morden in Nürnberg könnte ich es mir ähnlich vorstellen. Da gibt es die Grüße an die Untergrundkämpfer im Nürnberger Landser Magazin, die man als Gruß an den NSU interpretieren kann. Da gibt es die den Ermittlungen nach sehr naheliegende Option, dass der NSU seinen Brief und Geld an die Nürnberger Szene geschickt hat. Da gibt es später den Einwurf der Bekenner-DVD des NSU ausgerechnet bei den Nürnberger Nachrichten. Jetzt ist es aber so, dass eine direkte Verbindung zwischen der Münchner Naziszene um Martin Wiese und dem NSU nur über diesen Schritt geht. Du kannst Voice of Zwickau lesen, da werden in direkter Nähe des NSU-Unterstützungsnetzwerks jede Menge bayerische Nazis in München und Umgebung und in Nürnberg gegrüßt, aber eben nicht Wiese. Das heißt trotzdem nicht, dass da keine Verbindung ist. Wenn man das als netzwerkförmig organisiert sieht, dann ist die Frage, warum es hier anders gelaufen sein sollte. Warum soll der NSU in Nürnberg mit Nazis zusammenarbeiten und genau mit deren Struktur in München nicht? Als ob es dann hier noch eine andere Nazistruktur gegeben hätte. Die Nazis von den Skinheads Sendling haben zum Teil im Hinterhof von Theodoros Boulgarides gewohnt und Bloodbrothers war nun mal eine thüringer und bayerische Blood&Honour nahe Organisation. Solchen Spuren wurde nie nachgegangen. Wenn man jetzt weiß, dass Blood&Honour oft hinter Logistik und Unterbringung des NSU steckte, warum sollte es da in München und Nürnberg anders gewesen sein? Man kann sich also denken, wie die Unterstützung in München gelaufen ist. Wer schaut denn nach FAP- und NF-Bezügen des NSU? Die ganze Vorgeschichte der 90er, auf die sich der NSU gestützt hat, war ja auch in München vorhanden, da fehlt es einfach, dass man das mal bundesweit nachvollzieht. Wiese ist eben auch nicht die ganzen 90er in München gewesen, sondern aus der Uckermark zugezogen, so wie Bordin, der aus NRW kam. Deswegen ist es schwierig, etwas über solche langen Kontinuitätslinien zu sagen. Die Frage ist natürlich, ob Wiese den NSU aus Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern kannte.
Was machen denn die zentralen Figuren der Schutzgruppe bzw. der Kameradschaft Süd heute?
Manche haben auf Aussteiger gemacht, bei manchen wissen wir es nicht und Statzberger ist der führende Neonazikader geblieben. Wiese ist ja gleich nach der Haftentlassung wieder neonazistisch aktiv geworden und wegen der Drohung gegen mich und andere auf dem Festival des Freien Netz Süd nochmal für ein Jahr und acht Monate eingefahren. Danach hat er sich schon in niederbayerischen und oberpfälzischen Nazikreisen herumgetrieben. Den würde ich immer noch als überzeugten Neonazi einschätzen und er lief bei den Coronarebellen am 1. August in Berlin auf.
Jessica Fasel ist dann nicht mehr in der Naziszene aktiv gewesen, sondern in der rechtsoffenen Oi-Subkulturszene, aber sie hat auch nie Auskunft darüber gegeben, was sie alles in der Naziszene mitbekommen hat.
Thomas Schatt hat nie jemand eingebremst, der hat danach einfach im Freien Netz Süd weitergemacht. Er war jetzt aus Jobgründen einige Jahre in der Schweiz und ist mittlerweile zurück in München. Ebenfalls nie eingebremst wurde Statzberger. Er hat damals im Prozess darauf bestanden, seine Nazirock-CDs und seine Mein Kampf-Ausgabe, die als Zeichen seiner Reue eingezogen werden sollten, zurückzubekommen. Nach dem Urteil haben Renate Werlberger und Co. ihm noch „Kopf hoch, wir sehen uns“ usw. zugerufen, da gab es nie eine Distanz zu den ganzen terroristischen Faschos. Das war immer eine Szene und das ist es heute noch. Dass er diesen Stützpunktleiter-Job beim Dritten Weg hat, zeigt, dass er innerhalb der Szene anerkannt wird. Ich glaube schon, dass das daran liegt, dass er damals keine Aussage gemacht hat. Die anderen haben kurz vor dem Urteil doch noch ein Geständnis aus der Tasche gezogen, nur Statzberger und Wiese haben nicht ausgesagt und sind dafür richtig lang gesessen.
Dann gab es noch Dominik Baumann, der Wiese mal eine Kalaschnikow geliehen hat. Der war später Teil von Jagdstaffel D.S.T. und ist heute in der subkulturellen Münchner Naziszene.
Und es fehlen eben die Waffen. Das Gute ist, dass die 14 Kilo Sprengstoff, die sie aus übrig gebliebenen Weltkriegsgranaten gesammelt haben, kein Sprengstoff waren, sondern eher Gips. Sie hatten aber auch ein Kilo TNT, von dem unklar ist woher und eben die Pistolen, die sind sicher noch in der Szene. n
Der Fachjournalist Robert Andreasch recherchiert seit vielen Jahren zur extrem rechten Szene. Über die Wiese-Gruppe und Didier Magnien hat er diverse Artikel verfasst, etwa für das Antifaschistische Infoblatt.