Die Polizei im Nationalsozialismus.
In der heutigen Wahrnehmung des historischen Nationalsozialismus spielt die Polizei meist eine geringe Rolle. Jahrzehntelang wirkte der Mythos einer sauberen, letztlich unpolitischen Polizei in den beiden Nachkriegsdeutschlands fort. Dabei wären das System des Nationalsozialismus und seine Verbrechen ohne die Polizei nicht möglich gewesen. Um die Dimensionen zu umreißen: 1942 gab es alleine etwa 280.000* Ordnungspolizist_innen. Der NS-Staat war ein Polizeistaat, das akribische Erfassen und Verfolgen von als „Volksschädlinge“ Gebrandmarkten, von Jüdinnen und Juden, Sinti_zze und Rom_nija, politischen Gegner_innen, Homosexuellen, Sexarbeiter_innen, Obdachlosen oder Alkoholiker_innen war polizeilicher Alltag.
Einer der Gründe, warum diese Vielzahl von Unterdrückungshandlungen wenig schlechtes Licht auf das Ansehen der Polizei geworfen hat, dürfte in dem nicht einfach zu durchschauenden Aufbau der nationalsozialistischen Polizei liegen. So übernahm die uniformierte Ordnungspolizei eine Vielzahl der Aufgaben, die auch heutige uniformierte Polizist_innen erfüllen, die Kripo arbeitete im kriminalpolizeilichen Bereich. Daneben installierten die Nazis bereits 1933 die Geheime Staatspolizei, aufgebaut durch erfahrenes Personal der politischen Polizei des Staates Preußen. Ausgestattet mit einer Vielzahl kriminalpolizeilicher Befugnisse und begleitet von einem Propagandaapparat, der sie als allmächtig und allwissend inszenierte, bestand ihre Hauptaufgabe in der Verfolgung politischer Gegner_innen, Jüdinnen und Juden und weiterer Gruppen im Nationalsozialismus verfolgter Menschen. Daneben übernahm unter Anderem die SS als parteinahes Organ ebenfalls viele Repressionsaufgaben und eine aktive Rolle in Verfolgung, Porajmos und Shoah.
Weil diese speziell im Nationalsozialismus entwickelten Akteur_innen zweifelsohne einen enormen Anteil an Verbrechen, Verfolgung und Massenmord hatten, gelang es leicht, Ordnungspolizei und Kripo als „weniger schlimm“ zu verkaufen. Tatsächlich trat die massenmedial als „Freund und Helfer“ in Szene gesetzte Polizei einer Mehrheit der Deutschen gegenüber nicht als Verfolgungsorgan auf. All diejenigen, die nicht in die nationalsozialistische Volksgemeinschaft passten oder passen wollten, traf die Macht der Polizei um so härter. Leitend war hier ein biologistisches Verständnis von Devianz und Kriminalität, demnach sozial unerwünschte Verhaltensweisen sich letztlich nur durch die physische Vernichtung der Gegner_innen lösen lasse. Diese Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung „gewöhnlicher Krimineller“ wird bis heute wenig bedacht, Entschädigungen und Rehabilitierung erfolgten nur sporadisch. Aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen waren freilich auch all jene, die aus rassistischen, antisemitischen oder politischen Motiven von den Nazis verfolgt wurden. So nahmen etwa die Millionen von Menschen in den von den Deutschen besetzen Gebieten die deutsche Polizei als alles andere denn freundlich und hilfsbereit wahr, sondern als Besatzer_innen und Verfolgungsinstanz. Nicht nur Wehrmacht und SS, sondern auch deutsche Polizist_innen ermordeten eine bis heute nicht genau bestimmte Anzahl Zivilist_innen im Zuge der als „Bandenbekämpfung“ titulierten Bekämpfung von Partisan_innen, die faktisch oft ein Feldzug gegen die Zivilbevölkerung war.
Aber auch im Kernland des deutschen Reichs verfolgte und kriminalisierte die Polizei. Ihre Mitarbeit an der Deportation von Jüdinnen und Juden etwa, das Ausfindigmachen, Festnehmen, Verhören oder Absichern der Transporte in Konzentrations- und Vernichtungslager war ganz normale Polizeiarbeit. Teils in Form von in Wehrmacht und SS eingegliederten, paramilitärischen Polizeibatallionen, teils in anderen Funktionen beteiligten sich ganz normale deutsche Ordnungspolizist_innen am aktiven Morden der Shoah, am planvollen Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden. Nach dem Sieg über Nazideutschland waren die Taten während des Nationalsozialismus für die meisten Polizist_innen kein Karrierehindernis. Einige wenige wurden zur Rechenschaft gezogen, oder es wurden geringfügige Strafen verhängt. Wie in so vielen Bereichen des öffentlichen Lebens konnte der überwiegende Teil seine Karriere bereits Ende der 40er Jahre fortführen.
Eine besonders unrühmliche Geschichte, wenn es um Vorläufer und Kontinutäten des Nationalsozialismus geht, hat die Münchner Polizei. Bereits 1899 wurde hier eine Stelle geschaffen, die dem Erfassen der so genannten „Zigeunerkriminalität“ dienen sollte. Die antiziganistische Verfolgungsstelle hatte bereits in den 1920er Jahren Vorbildcharakter für andere Polizeien, teilweise machte sie international Schule. Nach der Machtübernahme der Nazis führte sie ihre Arbeit zunächst fort, bis die „Zigeunerzentrale“ (offiziell „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“) 1938 nach Berlin verlegt wurde und sich federführend an Deportationen und Zwangssterilisationen von Sinti_zze und Rom_nija, Jenischen und weiteren Menschen beteiligte. 1946 wurde die Arbeit wieder bei der Münchner Polizei aufgenommen und 1953 offiziell als „Landfahrerzentrale“ angesiedelt. Erst nach einem Gerichtsurteil 1970 wurden die Zentrale und der ihr zugrundeliegende rechtliche Rahmen aufgelöst. Doch damit endete die Geschichte polizeilichen Antiziganismus nicht. Selbstorgansiationsverbände protestieren bis in die Gegenwart gegen interne polizeiliche Kategorisierungen, deren diskriminierender Gehalt nicht einmal schlecht versteckt wird. Codewörter wie „häufig wechselnder Aufenthaltsort (HWAO)“, „mobile ethnische Minderheit“, oder einfach „Landfahrer“ sind bis heute in vielen Bundesländern Alltag. Ein Mahnmal unweit des Münchner Polizeipräsidiums in der Ettstraße, dem Sitz der Zentrale, wurde übrigens vom bayerischen Innenministerium nicht gebilligt.
Es ist nicht verwunderlich, dass eine auf Befehl und Gehorsam, auf Männerbündelei, Gewalt und Ich-tue-nur-meinen-Job Mentalität fußende Institution wie die Polizei eine wichtige Rolle in Durchsetzung und Erhalt der nationalsozialistischen Herrschaft spielte. Eine konsequente antifaschistische Politik, die sich der tatsächlichen Verhinderung faschistischer Politik verschrieben hat, muss somit auch eine radikale Kritik an Autorität, Unterwerfung und ihrer institutionalisierten Formen, wie etwa der Polizei, beinhalten.
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