Über die Zusammenhänge von Polizei und Querdenken-Bewegung.
Von Gruppe Antithese
In den letzten Wochen und Monaten gab es zahlreiche Demonstrationen und Kundgebungen der selbsternannten „Coronarebellen“, die jeweils nach dem selben Muster abliefen. Ob Leipzig, Frankfurt, München, Wien, Kassel oder Nürnberg, immer scheint eine lang angekündigte Veranstaltung plötzlich aus dem Ruder zu laufen, eine scheinbar vollkommen überforderte Polizei muss dem Mob die Straße überlassen und konzentriert sich stattdessen auf den Gegenprotest. Im Anschluss folgt der große politische und mediale Aufschrei: Wie konnte das passieren?
Wir wollen an dieser Stelle ein theoretisches Deutungsangebot zum Verhalten der Polizei auf Coronademos machen, das über das übliche Verwirrtsein der bürgerlichen, sozialliberalen Presse hinausgeht. Dazu analysieren wir das Verhalten bzw. das Nicht-Verhalten der Polizei gegenüber der Querdenken-Bewegung etwas genauer – nicht zuletzt auch deshalb, weil wir als radikale Linke in der Praxis selbst häufig vom Vorgehen der Polizei betroffen sind. Wir wollen uns die Beziehung von Polizei und „Coronarebellen“ dabei aus drei jeweils unterschiedlichen Perspektiven angucken. Einmal soll es dabei um die strukturelle Nähe der Polizei zu den Aufmärschen gehen, die wir dabei als Ausdruck einer konformistischen Revolte einschätzen. Danach werden sozialpsychologische Zusammenhänge von Polizei und Querdenker*innen unter dem Begriff des autoritären Charakters gebündelt, um diesen schließlich als spezifische Form der Männlichkeit zu bestimmen.
1. Konformistische Rebellion und Exekutive des Staates
Die Querdenken-Bewegung lässt sich ohne Weiteres als die aktuellste Erscheinungsform der konformistischen Rebellion verorten. Auf den Demonstrationen und Kundgebungen tauchen in trauriger Regelmäßigkeit die gleichen Leute bzw. Personengruppen auf: besorgte und saturierte Bürger*innen mit Kindern an der Hand, Hippies & Esos, Reichsbürger*innen, vereinzelt Hools (in Sachsen mehr als in Bayern) und als Redner*innen immer wieder Polizist*innen. Dass die Polizei strukturell und wohl auch privat große Nähen bzw. Sympathien mit den Wutbürgern der rechten Bewegungen wie Pegida oder nun den Querdenker*innen aufweist, liegt auf der Hand. Dass indes einzelne Polizist*innen direkt mit organisatorischen Aufgaben betraut sind und sich öffentlich positionieren, bringt den Staat aber doch etwas in die Bredouille. Die Liste von prominenten „Einzelfällen“, wie dem Polizeihauptkommissar a.D. Karl Hilz, Bernd Bayerlein, Wolfgang Kauth oder Kathrin Masar ließe sich erweitern und wird wöchentlich länger. Mittlerweile haben sich die Verschwörungscops organisiert. Der noch in der Konstituierung begriffene Verein „Polizisten für Aufklärung“ verfolgt das Ziel möglichst viele Polizeibeamt*innen über die Möglichkeiten aufzuklären, dass Einsätze bei Kundgebungen verweigert werden können (die sogenannte „Remonstrationspflicht“). Ein Blick auf deren Telegramchannel reicht aus, um zu sehen, dass die Remonstration lediglich das Vehikel für Verschwörungsideologien bildet. Zwischen Artikeln, die Corona leugnen und Impfschäden behaupten, finden sich Videos von Ken Jebsen und Reichsbürger*innen.
Die Polizeipräsidien reagieren, wie sie immer reagieren, wenn das Offensichtliche nicht mehr zu leugnen ist. Es wird relativiert und die Beamt*innen werden i.d.R. in den Innendienst versetzt, um sich dort schadlos zu halten. Hier und da wird auch ein Disziplinarverfahren angestrebt (wie etwa bei Bayerlein), aber das sind tatsächliche Einzelfälle. Neben Chatgruppen mit Hitler-Memes und Morddrohungen als NSU 2.0 nun also direkte Aufrufe von der Bühne zum Umsturz, schließlich lebe man in einer Diktatur. Auf institutioneller Ebene geben die Polizeipräsidien nach jedem neuen Querdenkendesaster meist nur bekannt, dass man die Demonstration aufgrund der Verhältnismäßigkeit nicht habe auflösen können, oder – wie in Nürnberg geschehen – die Kritik am Vorgehen der Polizei unglaubwürdig sei, da sie von Links komme. In Leipzig ließ man die Situation gar willentlich eskalieren, lief vor dem Mob rückwärts und sah zu, wie Journalist*innen von Nazihools verprügelt wurden, um auf der anderen Seite den antifaschistischen Gegenprotest zu kesseln. In Frankfurt am Main wurden die Wasserwerfer gegen die Querdenkendemonstration auf „leichten Nieselschauer“ eingestellt, gegen die linke Blockade dagegen drehte man voll auf.
Strukturell ist dies alles kein Zufall: Eine konformistische Rebellion stellt sich nur oberflächlich gegen die bestehende Ordnung, um sich mit dieser alsbald nur noch mehr zu identifizieren bzw. die Zuspitzung der in dieser Ordnung mitangelegten Hierarchien und Klassen zu fordern. Angewandt auf die selbsternannten „Coronarebellen“ kann schnell erkannt werden, dass diese nicht etwa gegen die sich zuspitzende Ungleichheit durch die pandemische Krise protestieren, sondern für das Recht, in der Krise die Freiheit zur Rücksichtslosigkeit gegen andere und schwächere ausagieren zu dürfen. Man wähnt sich im Widerstand und fühlt sich mindestens wie Sophie Scholl oder Anne Frank, während gleichzeitig mit Reichskriegsflagge die erste Strophe der Deutschen Nationalhymne gesungen wird.
Die „Coronarebellen“ fordern also verschärft die Ordnung und doppelte Freiheit der Lohnarbeiter*innen ein, zu deren Exekution und Aufrechterhaltung sich im kapitalistischen Normalvollzug die Polizei aufmacht. So betont der Historiker Sam Mitrani, dass die Polizei ursprünglich geschaffen wurde, „um den neuen auf Lohnarbeit basierenden Kapitalismus, der Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts entstand, vor eben jener Bedrohung zu schützen, die dieses System hervorbrachte: der Arbeiterklasse.“1 Die Polizei ist also nicht zum Schutz der Bürger*innen gebildet worden, sondern um die Eigentums- und Machtverhältnisse zu schützen – wenn nötig mit Gewalt. „Recht und Ordnung bedeuten im Kapitalismus eben vor allem: Eigentumsrecht und Klassenordnung.“2 Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wenn also die Querdenkendemonstrationen im Grunde genommen fordern, dass alles so ungleich bleibt, wie es immer schon war, stehen sie in offener Komplizenschaft mit den herrschenden Verhältnissen und der Polizei. Schert man aus, dann nur um die existierenden Hierarchien, Dichotomien und Klassen zur Not auch gegen das geltende Neutralitätsgebot gegenüber den Einzelnen im Alleingang wieder durchzusetzen, sei es in einer Telegrammgruppe oder als Munition hortender Feierabendprepper.
2. Autoritäre Charaktere unter sich
Auch aus einer sozialpsychologischen Perspektive finden sich zwischen Polizist*innen und Querdenker*innen mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen, die sich unter den Begriff des autoritären Charakters bündeln lassen. Zwar wurde dieser Sozialtypus bereits in den 1930er Jahren von der frühen Kritischen Theorie ausgearbeitet, um die Subjektform des Faschismus auch empirisch in den Blick zu bekommen, doch auch in der postfaschistischen Gesellschaft ist dieser Typus nach wie vor aktuell. Danach finden sich im autoritätsgebundenen Typus durchaus widersprüchliche Impulse und Eigenschaften. Er verhält sich Autoritäten gegenüber kritiklos und unterwürfig, hat aber zugleich starke aggressive und destruktive Neigungen gegen Minderheiten und Fremdgruppen. Adorno nutzte zur Veranschaulichung gerne das Bild des nach oben buckelnden und nach unten tretenden Radfahrers. In den Worten der Psychoanalyse stellt die autoritäre Charakterdisposition eine innere Verlängerung des äußeren Zwangs dar, die sich konform nach oben verhält und nach unten tritt. Dieser Zwang hat sich unbewusst derart verstetigt und verselbstständigt, dass dem autoritären Charakter die Herrschaft zum Bedürfnis geworden ist. Treten Konflikte auf, werden diese als von außen kommende projiziert.
Dabei verhalten sich die „Coronarebellen“ mit ihren Feindbildern von Merkel, Drosten, Gates und sogar Söder nur scheinbar antiautoritär. Denn die gemeinsamen Feindbilder einen zunächst die Eigengruppe. Anstelle einer klassischen Führerfigur, zu der ein Attila Hildmann oder Michael Ballweg nur bedingt taugen, treten sekundäre Autoritäten wie die Wirtschaft, Arbeit oder Deutschland3. Der autoritäre Charakter will Anpassung an die Gesellschaft, so wie sie ist bzw. vor Corona war, diesem Bedürfnis stehen sinnvolle (z.B. Abstandsregeln) und autoritäre (z.B. Ausgangssperre) Einschränkungen im Wege. Das macht die Bewegung pandemisch so gefährlich und die Kritik an ihr z.T. ambivalent.
Polizei und Querdenker*innen eint das subjektive Bedürfnis nach einer Ordnung, in welcher Gruppen, denen gesellschaftlich weniger Autorität zukommt, ein Feindbild darstellen: also etwa Migrantisierte, Geflüchtete, Queers, Linke und Jüdinnen und Juden als geheime Strippenzieher hinter allem. Die vorgebliche Angst vor einem neuen „Ermächtigungsgesetz“ entpuppt sich als faschistisches Bedürfnis. Kein Wunder also, dass Nazis und rechte Hooligans, ganz unabhängig von ihrer konkreten Funktion als „Saalschutz“ auf den Demos, sich so nahtlos in die Zusammensetzung der Querdenker*innen einfügen. Kein Wunder, dass die Reihen der Polizei aus einer derart hohen Dunkelziffer an rechten „Einzelfällen“ gebildet sind. Und kein Wunder, dass zuletzt das BKA in einem internen Papier die antifaschistischen Gegenproteste als eigentliche Gefahr markierte4.
In ihrer konkreten Zusammensetzung stellt die Polizei bekanntlich keinen Spiegel der Gesellschaft dar. Dennoch repräsentiert sie durch ihre objektive Funktion und dazugehörige Charakterstruktur die gesellschaftliche Ungleichheit, auf der der Kapitalismus notwendig basiert.
3. Kriegerische Männlichkeit trifft Wutbürger
Klassischerweise sind in einer patriarchalen Gesellschaft Schutzformen an eine maskulinistische Logik gebunden, sei es in familiären oder staatlichen Kontexten. Dass insbesondere die Polizei in einem funktionalen Zusammenhang auf ein klassisches Leitbild von Männlichkeit angewiesen ist, stellt unsere abschließende Perspektive dar.
Insbesondere der Polizeiforscher Rafael Behr hat diese Ebene der polizeilichen Binnenkultur ausführlich erforscht. Behr spricht parallel zur militärischen Aufrüstung der Polizei von einer zunehmenden Krieger-Männlichkeit, welche sich als neue Form der Re-Maskulinisierung bezeichnen lässt. Behr stellt die kriegerisch-männliche Cop-Culture einer demokratischen Polizeikultur gegenüber und hebt zugleich deren gegenseitige Verwiesenheit hervor. Zwar vergisst Behr, dass Gewaltaffinität kein Problem einer abweichenden, wenn auch komplementären Männlichkeit ist, sondern vielmehr in jede Form von Männlichkeit eingeschrieben ist. Dennoch kann bei der Polizei ein spezifischer, männerbündischer Korpsgeist ausgemacht werden, deren Hegemonie sich auch weibliche Polizistinnen unterzuordnen haben. Noch jede Werbeanzeige der Polizei beschwört Kameradschaftlichkeit, Einheit, Überlegenheit, Heroismus und den Kampf für das Gute. Die Polizeiausbildung legt, wie jede Schule für autoritäre Charaktere, gehobenen Wert auf Sekundärtugenden wie Disziplin, Pflichtbewusstsein, Zuverlässigkeit, Treue und Gehorsam. Das konkrete Auftreten von BFE und USK ergänzen schließlich diese entindividualisierten und martialischen Handlungsmuster durch uniformierte Kleidung, uniforme Körperhaltung und Vermummung. Man(n) ist die Elite im Kampf gegen das Böse, das immer von außen kommt. Der Nutzen ist die Ehre, nicht das Geld.
Dabei taugt jedoch nicht jede*r gleichermaßen zu einem äußeren Feind. Die unverhohlene Kumpelei mit Neonazis, die ihre Männlichkeit ähnlich inszenieren, der offensichtliche Hass auf Linke mit besonderem Augenmerk auf den feministischen Block oder das ganz alltägliche Racial Profiling zeigen, dass der klassisch männliche Wutbürger nicht im Feindbild der Polizei auftaucht. In diesem Sinne schreibt auch Behr: „Am ‚Normalbürger‘ hat die Krieger-Männlichkeit wenig Interesse, sie bevorzugt Einsätze, bei denen die Fronten relativ klar sind […]. Dann muss der Krieger nicht mehr abwägen, aushandeln, hin – und herwenden, sondern kann Befehle ausführen bzw. einmal gefasste Entschlüsse durchziehen.“5 Der auf den Querdenkendemonstrationen zu beobachtende Wutbürger mit Frau und Kind taugt nicht als Projektionsfläche der männlichen Verteidigung der polizeilichen Ordnung. Zwar mag das ständige Gerede und Gefrage im Einzelfall nerven, aber verprügelt wird er nicht.
Das Phänomen der Corona-Cops kann also materialistisch, sozialpsychologisch und in Bezug auf Maskulinität interpretiert werden. Aus keiner dieser Perspektiven scheint die Polizei reformierbar. Vielleicht hätte es dieser Analyse aber auch gar nicht bedurft. Denn seit ihrer Institutionalisierung erfüllte die Polizei, jeder Demokratisierung zum Trotz, immer auch das, was Heinrich Himmler 1934 von ihr forderte: „[V]om deutschen Volk als sein bester Freund und Helfer, von Verbrechern und Staatsfeinden als schlimmster Gegner angesehen zu werden.“6