Ein Gespräch mit Hannes Kerger über rechte
Einstellungen, Mythen und Männlichkeitsbilder in der Polizei.
In den letzen Jahren ist viel über rechte Netzwerke und rechtsterroristische Strukturen bei der Polizei und im Militär bekannt geworden: durch rechte Chatgruppen beim bayerischen USK, Drohmails des »NSU 2.0« mit Verbindungen zur hessischen Polizei oder bei den Ermittlungen zu rechten Angriffen in Berlin-Neukölln. Wieso bilden sich rechte Netzwerke und terroristische Strukturen gerade hier – warum nicht in anderen staatlichen Institutionen? Was begünstigt die Entstehung von rechten Strukturen und Einstellungen bei der Polizei?
Also ob die Polizei anfälliger ist als andere staatliche Institutionen wäre ja im Grunde eine offene Frage. Das wissen wir streng genommen gar nicht. Aber es ist bei der Polizei natürlich wesentlich problematischer, wenn es dort zu rechten Netzwerken in irgendeiner Form kommt, auch wenn es nur informelle Netzwerke sind, die noch gar nicht aktiv werden im Sinne von rechten Terrornetzwerken. Also selbst informelle Netzwerke sind problematisch, weil es sich bei der Polizei eben um die Institution handelt, die das Gewaltmonopol des Staates nach innen innehat und dementsprechend legitimiert ist, Gewalt gegen die Bürger*innen auszuüben. Wenn eine solche Institution Rechtsradikale, Nazis, Rassist*innen usw. beinhaltet, dann bedeutet das natürlich eine ganz handfeste Gefahr für verschiedene marginalisierte Gruppen im Land.
Obwohl wir es nicht genau wissen, würde ich trotzdem vermuten, dass die Polizei anfälliger ist als andere Institutionen, andere Felder des Staatsdienstes – zumindest für autoritäre Haltungen, von denen dann rechtsradikale Haltungen nochmal eine extreme Form darstellen. Das liegt daran, dass sich die Polizei speziell in Deutschland über weite Strecken als Gefahrengemeinschaft versteht. Die Beamt*innen glauben – und tun das zum Teil ja auch real – dass sie sich in gefährlichen Situationen bewegen und dass sie deswegen besonders angewiesen sind auf die Loyalität ihrer Kolleg*innen. Das spielt eine ganz wichtige Rolle im Selbstverständnis und in der Vergemeinschaftung der Polizei. Und gerade dieser Korpsgeist, der daraus entsteht, das ist natürlich etwas, was besonders disponiert für autoritäre Haltungen per se. Das bedeutet eine unbedingte Gefolgschaft gegenüber der Gemeinschaft. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Polizei in dieser Hinsicht autoritärer ist als andere Institutionen oder als die Gesamtbevölkerung. Das liegt auch in diesem Selbstverständnis, eben diejenige Institution zu sein, die Gewalt gegen die eigene Bevölkerung legitimerweise ausüben darf. Und um diese Gewalt ausüben zu können – und auch das Selbstverständnis der Gefahrengemeinschaft zu pflegen – muss eben auch permanent trainiert werden. In Schießübungen, im Sport, im Kampfsport und auch im Alltag immer wieder in den Situationen, in denen die Polizei auf ihr als gefährlich wahrgenommenes Gegenüber trifft. Unabhängig davon, ob dieses Gegenüber dann tatsächlich gefährlich ist. Es herrscht ein Verständnis davon: der*die könnte mir potenziell immer gefährlich werden. Das Gegenüber wird wahrgenommen als jemand, der*die eine Gefahr darstellt. Und das schweißt zusammen. Ich denke, dass darin wirklich ein großes Problem besteht, also dass hier schon mal zumindest ein sehr starker Nährboden für Autoritarismus existiert. Dem kann man natürlich auch entgegenwirken, aber zunächst einmal ist das eine reale Gefahr. Dann ist der Schritt nicht mehr weit zum Faschismus, Rechtsradikalismus oder Rassismus. Aber natürlich ist da noch ein Schritt hin. Allgemein wird ja oft von Forschenden gesagt, in der Polizei würden »wertkonservative« Haltungen dominieren. Das heißt tendenziell rechte und konservative Haltungen, durchaus auch autoritär, aber nicht notwendigerweise bereits rassistisch und rechtsradikal.
Neben Korpsgeist und der Vergemeinschaftung als Gefahrengemeinschaft: welche Rolle spielen Männlichkeitsbilder bei der Polizei?
Es gibt ein sehr problematisches Männlichkeitsbild in der Polizei, das wird eigentlich schon seit 20 Jahren oder vielleicht sogar schon länger beschrieben; im Bezug auf die deutschen Polizei zumindest wird das seit 20 Jahren problematisiert. Dass das, was Rafael Behr Krieger-Männlichkeit nennt, dominieren würde, also genau dieser Habitus, dass man gewalttätig sein muss, auch gewalttätig gegen sich selbst, um überhaupt in der Lage zu sein, Gewalt auszuüben. Und das disponiert eben auch nochmal für autoritäre Haltungen. Es ist natürlich schwierig zu sagen, inwieweit es sich da um eine spezifische Männlichkeit handelt, oder ob nicht vielmehr die Gewaltarbeit als solche diese Männlichkeit auch produziert. Mir fällt es persönlich immer ein bisschen schwer zu sagen, was von den beiden Henne und was Ei ist. Deswegen zögere ich auch immer ein bisschen damit, das über Männlichkeitsbilder erklären zu wollen. Allerdings muss man schon festhalten, dass diejenigen, die auch Einblicke in die Polizei haben, sagen, dass die Frauen, die dort Polizistinnen sind, weniger anfällig für diese autoritären Haltungen sind. Aus verschiedenen Gründen, teilweise auch weil die männlichen Kollegen ihnen dann bestimmte Gewalthandlungen nicht zutrauen, also auch das ist zum Beispiel ein Punkt. Es gibt dort ja eine starke Differenzierung der Geschlechter und es kann natürlich auch sein, dass diese institutionalisierte Geschlechterdifferenz in der Polizei dazu führt, dass Frauen weniger autoritär sind, weil sie auch in diese Position gedrängt werden; dass, wenn man sie nur ließe, sie es vielleicht wären. Das sind aber alles Spekulationen. Fakt ist auf jeden Fall, das Geschlecht spielt eine Rolle, auch der Krieger-Habitus, die Krieger-Männlichkeit, spielt eine Rolle. Welche allerdings und inwieweit das in der Lage ist, entweder Autoritarismus zu erklären, oder ob nicht vielmehr der Autoritarismus Männlichkeitsbilder erklärt, das kann ich nicht sagen. Aber es gibt einen Zusammenhang.
Inwiefern wirken sich denn rechte Einstellungen und Strukturen bei der Polizei auf deren Praxis aus?
Man muss differenzieren zwischen zwei Aspekten: einerseits institutionellem und strukturellem Rassismus, andererseits Rassismus, Rechtsradikalismus, etc. als Einstellung. Wenn wir jetzt von Nazis in der Polizei sprechen, dann reden wir vor allem über letzteres und nur teilweise über institutionellen Rassismus. Aber ich würde sagen, dass bereits der Rechtsradikalismus auf Einstellungsebene natürlich polizeiliches Arbeiten massiv beeinflussen kann. Die Polizei hat hinsichtlich dessen, wann sie aktiv wird, so etwas, das Didier Fassin einen »grauen Scheck« nennt: sie haben keinen Blankoscheck, sie haben keine Vollmacht zu tun, was sie wollen, aber sie haben einen sehr weiten Interpretationsspielraum, wann sie eigentlich aktiv werden und wann nicht. Das kann natürlich bedeuten, dass jemand, der*die eine rassistische oder rechtsradikale Haltung hat, dann diesen Entscheidungsspielraum nutzt, um entlang seiner politischen Präferenzen aktiv zu werden. Das kann dann z.B. heißen, dass in einem Park nur Schwarze Menschen kontrolliert werden, während die weißen das nicht werden. Und es bewegt sich aber völlig im legalen Rahmen, da sich der*die Polizist*in mit diesem Ermessensspielraum auf Erfahrungswerte berufen und sagen kann: nach unserem Kenntnisstand handeln Schwarze tendenziell häufiger mit Betäubungsmitteln – und kann gleichzeitig aufgrund einer rassistischen Selektion Leute kontrollieren und Maßnahmen durchführen. Das gleiche gilt natürlich z.B. auch, wenn sich People of Color oder Linke bei der Polizei melden und sagen, sie werden von Nazis bedroht. Die werden nicht ernstgenommen, die Gefahr relativiert, die Anzeigen nicht aufgenommen. Das bedeutet natürlich, dass diejenigen, die mit solchen Polizist*innen zu tun haben, nicht zu Unrecht in dem Moment das Vertrauen in die Polizei verlieren und sagen: na gut, dann schützen die uns ganz offensichtlich nicht.
Im Extremfall kann das dann auch bis zum Mord reichen. Wenn man sich den Fall Oury Jalloh ansieht, dann ist das so, dass da Polizist*innen ihre Macht anwenden konnten, und aufgrund der institutionellen Eingebundenheit der Polizei in die Bundesrepublik bzw. den sachsen-anhaltinischen Staat ist dann die Staatsanwaltschaft nicht mehr in der Lage, so zu ermitteln, dass am Ende die Täter*innen gefunden werden; oder dass sogar noch die Ermittlungen sabotiert werden.
Wenn wir jetzt über institutionellen Rassismus sprechen, dann können dort auch Rechtsradikalismus und Autoritarismus wirksam werden. Hier wird es ein bisschen schwierig, da institutionalisierter Rassismus und Rassismus als Einstellung oft nicht klar zu unterscheiden sind. Von institutionalisiertem Rassismus würde ich dann sprechen, wenn ein bestimmtes Wissen oder normative Vorgaben, die rassistisch sind, für die Polizei handlungsleitend werden – und zwar auch für Beamt*innen, die der Einstellung nach nicht notwendigerweise besonders autoritär oder rassistisch sind. Dann handelt es sich um institutionalisierten Rassismus, dem auch Beamt*innen nachgehen, die von sich sagen würden, nicht rassistisch zu sein. Solche Fälle hat man beispielsweise bei so einer antiziganistischen Ermittlungspraxis, die man häufig findet, wenn es etwa um Wohnungseinbrüche geht: da sind dann bestimmte Autokennzeichen aus Osteuropa verdächtig, Familien mit »auffälligen« Nachnamen in der Umgebung usw. Das wird dann auf einmal ermittlungsleitend. Das ist eine Form von institutionellem Rassismus, der aber ebenso gewaltförmig auftreten und für die Betroffenen genauso schmerzhaft sein kann wie Rassismus als Einstellung.
Als strukturellen Rassismus bezeichnen wir hingegen in der Regel eine Art institutionalisierten Rassismus, der aber nicht in einzelnen Institutionen wie der Polizei institutionalisiert ist, sondern beispielsweise im Recht, der Wirtschaft oder dem Wohnungsmarkt – der dann aber handlungsleitend für etwa polizeiliche Maßnahmen wird. Ein ganz plattes Beispiel: eine migrantische Familie kriegt Wohnraum nur in »schlechten« Gegenden, die Wohnung ist daher eng, die Jugendlichen verbringen deshalb ihre Freizeit im Park und nicht in der Wohnung und sind somit schonmal häufiger von Kontrollen betroffen. Weil sie zum einen in einer »schlechten« Gegend wohnen, zum anderen weil sie viel mehr Zeit draußen verbringen als Jugendliche aus der Mittelschicht in »besseren« Gegenden, wo man auch im eigenen Schlafzimmer kiffen kann, deshalb draußen kiffen und häufiger erwischt werden. Da greift dann ein struktureller Rassismus insofern, als dass der*die einzelne Beamt*in gar nicht rassistisch sein muss, aber aufgrund einer strukturellen Diskriminierung fallen diese Jugendlichen schon automatisch in das polizeiliche Raster.
In der Realität lassen sich diese verschiedenen Ebenen oft nicht voneinander trennen. Aber wenn wir uns fragen wollen, wie wir dagegen vorgehen sollen, macht es analytisch durchaus Sinn, diese erst einmal getrennt voneinander zu betrachten, da jede Ebene unterschiedliche Herangehensweisen erfordert.
Als Linke*r drängt sich ja der Eindruck auf, dass z.B. gegen linke Demos in der Regel viel härter vorgegangen wird als gegen rechte. Lässt sich das durch die Forschung bestätigen? Wenn ja, inwiefern unterscheidet sich die Einstellung und die Praxis von Polizist*innen gegenüber Linken und Rechten?
Meines Wissens gibt es dazu in Deutschland keine Forschung. Das ist ein Riesenproblem, weil jede*r, mit der*dem man spricht, diesen Eindruck bestätigt – und ich hab subjektiv diesen Eindruck auch. Man kann es aber nicht beweisen, weil die Daten fehlen. Aber in den USA wurde letztens eine Studie durchgeführt, die herausgefunden hat, dass zumindest im letzten Jahr auf linken Demos im Vergleich dreimal häufiger Gewalt angewendet wurde als auf rechten. Also zumindest für die USA ist das erstmal bestätigt, für Deutschland eben nicht. Woran das liegt, lässt sich aufgrund der fehlenden Daten nur spekulieren. Ich glaube, dass es hier nicht nur den einen Grund gibt, sondern eine Vielzahl an Faktoren, die relevant sind und die ein unterschiedliches Gewicht haben. Ich glaube ein Grund ist schon auch, dass die Geschichte der Polizei hauptsächlich eine ist, die sich gegen Links richtet. Die Polizei hat schon zu Zeiten ihrer Gründung hauptsächlich die Arbeiter*innenbewegung im Fokus gehabt – wesentlich durch die Niederschlagung von Streiks. Das spielt mit Sicherheit eine Rolle. Ich hab persönlich immer ein Problem mit so historischen bzw. genealogischen Argumenten. Also dass man sagt: wenn ich den Ursprung der Polizei kenne, dann weiß ich, wieso sie heute so handelt. Ich glaube, das ist so eine Art Historizismus und greift immer zu kurz. Trotzdem ist da bestimmt insofern etwas dran, als es damit für die Polizei relativ leicht war, das Narrativ vom »Feindbild Links« zu etablieren und zu pflegen.
Ein anderer Punkt dürfte sein, dass die Polizei sich von der Linken sehr viel stärker in der Kritik sieht, als von der Rechten. Es gibt auch seitens der Nazis genügend Leute, die Polizist*innen angreifen, die aufgrund dessen, dass sie die Bundesrepublik ablehnen, auch die Polizei als ihren Feind sehen usw. Allerdings ist mein Eindruck, dass in der Polizei der Eindruck vorherrscht: naja, wenn wir den Nazis Auflagen geben, die halten sich dran – wenn wir den Linken Auflagen machen, halten sie sich nicht dran. Das ist so ein bisschen diese Idee von: die Linken haben uns zu ihrem Feindbild erklärt, während die Nazis eigentlich andere Feindbilder haben. Das ist tatsächlich auch ein Mythos oder ein Narrativ, das in der Polizei vorherrscht.
Es gibt zudem eine sozialräumliche Nähe von Polizist*innen und Rechten, welche sich beide häufig aus dem Kleinbürgertum rekrutieren. Auf die Kritik zum Beispiel, dass gegen die »Querdenken« Demos nicht so hart vorgegangen wird, hat die Polizeipräsidentin in Berlin, Barbara Slowik, in etwa geantwortet: die Beamt*innen seien da von Frauen in Sommerkleidern überrannt worden – wie könne man denn da Gewalt anwenden? Und ich glaube das ist ein ganz wesentlicher Punkt: dass nämlich die Polizei und die einzelnen Beamt*innen sich den Rechten habituell in irgendeiner Form näher fühlen, weil sie aus den gleichen Milieus kommen. Die Faschos rekrutieren sich aus kleinbürgerlichen Milieus, also Arbeiter*innenaristokratie, kleine Selbstständige, solche Leute. Und aus dem rekrutiert sich auch die Polizei, weil sie für dieses Milieu auch ganz einfach eine gute Geldgeberin ist. Man kriegt dort schnell einen Beamtenstatus und eine sichere Pension – das ist übrigens der Grund, warum viele Leute überhaupt erst zur Polizei gehen. Wenn jetzt also die Polizei auf »Querdenken« Demos einprügeln würde – und man guckt sich die Leute an, die da stehen – wäre das symbolisch so, als würden sie auf ihre Eltern einprügeln. Das ist etwas ganz anderes, als wenn man eine linksradikale Demo vor sich hat, die sich weitgehend aus einem studentischen Milieu rekrutiert. Dieses Studentische und Intellektuelle ist der Polizei sehr sehr fremd. Darüber hinaus wirken diese Demos auf die Polizei tendenziell körperlich schwächer – auch, weil die Demos wesentlich weiblicher sind. Es handelt sich dabei, das muss man betonen, um polizeiliche Stereotypisierungen und Zuschreibungen.
Für die Polizei entsteht dadurch eine paradoxe Situation: einerseits diese krasse Bedrohungswahrnehmung von »die haben uns als Feindbild, die wollen uns platt machen und nutzen jede Chance, um uns anzugreifen«. Andererseits, »wenn sie vor uns stehen, sind sie uns tendenziell körperlich unterlegen«. Und ich glaube, dass sich daraus sehr viel schneller eine gewalttätige Dynamik entwickeln kann und die Hemmschwelle zur Gewalt sinkt. Also einerseits eine starke Gefahrenwahrnehmung, andererseits Unterstellung von Schwäche. Umgekehrt dürften Polizist*innen Nazis oder Naziaufmärsche, welche männlich dominiert und in ihrem Auftreten tendenziell enthemmter, gewalttätiger sind, als bedrohlicher wahrnehmen als linke Demos. Es ist denkbar, dass die Polizei hier zurückhaltender ist, weil sie von Faschos heftigere Gegenwehr erwartet und größere Angst hat. Wie gesagt, das sind subjektive Wahrnehmungen und es geht hier um Stereotype. Aber man weiß es nicht, man müsste diesen Aspekt mal systematisch erforschen, ich hoffe, dass dazu mal was kommt.
Gibt es denn Erkenntnisse darüber, wie viele Menschen sich bei der Polizei im (extrem) rechten Lager verorten? Es gibt ja z.B. auch einige Polizist*innen in der AfD. Gibt es da konkrete Zahlen?
Es gibt meines Wissens keine aktuellen Zahlen dazu, das soll aber ja jetzt nochmal umfassender erforscht werden, also ich bin gespannt, was da heraus kommt. Ich bin kein Freund von dieser sogenannten Seehofer-Studie und erwarte hier nicht allzu viel. Aber ich hoffe dennoch, obwohl ich es nicht glaube, dass die trotzdem auch da ein bisschen Erkenntnisse liefern wird. Die Zahlen, die man bislang in den letzten 20 Jahren dazu hatte, deuten darauf hin, dass rechte Haltungen in der Polizei tendenziell schon weiter verbreitet sind als im Durchschnitt der Bevölkerung. Also dass sie verbreiteter sind, würde ich jetzt mal aufgrund der Zahlen so behaupten wollen. Allerdings muss man dazu sagen, dass es viele Leute gibt, die das relativieren und die sagen, die Polizei sei ja nur so rechtsradikal wie der bundesdeutsche Durchschnitt. Allerdings, wenn die Polizei so rechtsradikal ist wie der bundesdeutsche Durchschnitt, dann hat man ein Riesenproblem. Da komme ich zum Anfang zurück, das ist die Institution, die das Gewaltmonopol innehat und wenn wir von dem ausgehen, was die Leipziger Mitte-Studien immer wieder zu Tage fördern, dass in der Bundesrepublik ungefähr 20% eine rechtsradikale Einstellung haben, dann hieße das im Grunde genommen, dass jede*r fünfte Polizist*in rechtsradikal ist oder damit zumindest in irgendeiner Form sympathisiert. Und das wäre hoch problematisch, selbst wenn es sich also im Durchschnitt bewegen würde. Ziel sollte im Grunde genommen sein, dass die Polizei weniger Rechtsradikalismus aufweist als der Durchschnitt. Das ist ganz offensichtlich nicht der Fall.
Kannst du einschätzen, welche Rolle die AfD für die Polizei oder deren Milieu spielt?
Das ist schwierig, weil ich auch den Einblick in die Polizei nicht so stark hab oder nicht so viele Polizist*innen kenne, die darüber mit mir sprechen würden. Was ich sagen kann: ich hab den Eindruck, dass zumindest durch die AfD eine Diskursverschiebung stattfindet und dass dadurch auch Dinge in der Polizei sagbar werden, die vorher nicht sagbar waren. Das ist zumindest das, was Christoph Kopke und Tobias Singelnstein in einem Interview im Sammelband „Extreme Sicherheit“ (hg. von Matthias Meisner & Heike Kleffner, Herder Verlag 2019) erzählen. Kopke sagt, da habe sich was verschoben und dadurch würde das auch auffälliger, also rassistische Haltungen würden ein Stück weit enttabuisiert durch die AfD. Aber nicht nur durch die AfD, auch die Unionsparteien und die SPD haben einen Anteil daran, dass zum Beispiel Clankriminalität so stark im Fokus ist. Es gibt sicherlich Probleme mit bestimmten mafiösen Strukturen in Berlin oder Essen, aber die Art und Weise, wie über Clankriminalität gesprochen wird in der Polizei, ist zutiefst rassistisch. Das ist von einem unheimlich rassistischen Bild geprägt. Das Lagebild des LKA NRW zur Clankriminalität in Nordrhein-Westfalen offenbart wirklich einen tief sitzenden institutionellen Rassismus. Und dass sie das auch so unverhohlen preisgeben und veröffentlichen, das ist nur durch ein bestimmtes politisches Klima möglich. Also ich würde sagen, allein dahingehend ist die AfD relevant – aber natürlich die anderen Parteien auch – aber inwiefern jetzt die AfD unmittelbar auf die Polizei einen Einfluss hat, also dadurch dass sie z.B. politisch dort aktiv sind oder Polizist*innen in der AfD haben, weiß ich nicht.
In der Öffentlichkeit wurden die Skandale um rechte Umtriebe bei der Polizei z.T. unter dem Schlagwort »Polizeiproblem« verhandelt. Darauf gab es unterschiedliche Reaktionen. Wie sind beispielsweise die Forderungen nach einer Studie über den Rassismus bei der Polizei zu bewerten?
Forschung ist natürlich wichtig in diesem Feld. Die Polizei ist immer noch eine Art Black Box und das ist in einer Demokratie absolut unmöglich. Die Institution, die das Gewaltmonopol innehat, muss sich beforschen lassen. Deswegen sind auch Studien über die Polizei erstmal richtig. Aber erstens kann es nicht darum gehen, dass das Innenministerium eine Studie forciert und dann gegebenenfalls auch noch Einfluss auf das Design nimmt, sondern es muss unabhängige Forschung möglich sein, das heißt der Forschungszugang muss viel stärker erleichtert werden. Für eine Demokratie ist das absolut notwendig. Ich bin aber andererseits der Meinung, dass, auch um Rassismus oder Rechtsradikalismus in der Polizei bekämpfen zu können, die Datenlage schon ausreichend ist, um das politisch problematisieren zu können. Wir müssen jetzt nicht im Detail wissen, wie viele Beamt*innen Rechtsradikale sind und welche nicht, wir können uns jetzt schon Maßnahmen überlegen. Und ich war von den politischen Antworten deswegen auch schwer enttäuscht. Also dass da nur diese Studie als Antwort gekommen ist, fand ich skandalös. Man hätte ganz anders darauf reagieren können und in den USA wurde ja auch zivilgesellschaftlich ganz anders darauf reagiert. Das waren ja nicht nur linksradikale Gruppen, die eine Abschaffung der Polizei gefordert haben, das ging ja relativ weit und die sind damit durchaus erfolgreich über weite Strecken, also viel erfolgreicher als in Deutschland.
Aber ich hab ja vorhin schon von den unterschiedlichen Ebenen gesprochen, polizeilichem Autoritarismus, polizeilichem Rassismus, und dementsprechend braucht es auch auf den unterschiedlichen Ebenen unterschiedliche Antworten. Auf der individuellen Ebene, wenn wir uns fragen, was können wir gegen Nazis in der Polizei machen, da ist die Antwort: was am besten hilft, sind tatsächlich kritische Polizist*innen. Wir wissen von den Chatgruppen nur durch andere Polizist*innen, die ihre Kolleg*innen melden, die an die Öffentlichkeit gehen und sich an Journalist*innen wenden und die sagen, sie wollen das nicht mittragen. Die sind da echt notwendig, die braucht es und die muss man da irgendwie stützen. Aber damit die geschützt werden, braucht es institutionelle Mechanismen, und deswegen ist eine unabhängige Beschwerdestelle natürlich das A und O, auch für Betroffene, die nicht bei der Polizei sind. Es braucht für alle eine unabhängige Beschwerdestelle. Mit Ermittlungsbefugnissen, das ist natürlich ganz wichtig. Die muss personell auch richtig ausgestattet sein, es reicht natürlich nicht, dass da eine Person sitzt.
Aber es geht natürlich noch weiter. Struktureller Rassismus strukturiert das Handeln der Polizei vor, das heißt es geht darum, die Rahmenbedingungen, unter denen die Polizei agiert, so zu ändern, dass sie gar nicht mehr in der Lage ist, in bestimmten Feldern z.B. nach rassistischen Kriterien zu selektieren oder dort überhaupt Gewalt anzuwenden, weil sie aus ihrem Zuständigkeitsbereich entzogen werden. Das heißt, man muss sich z.B. Gedanken machen über die Entkriminalisierung von Betäubungsmitteln. Man muss sich Gedanken darüber machen, wie man Wohnungslose unterbringt, das heißt man braucht einen neuen solidarischen Wohnungsmarkt und man braucht Zugänge zu Wohnungen, also eine „Housing First“ Politik. Man muss schauen, dass Dienste wie der psychiatrische Notdienst viel stärker gefördert werden, dass die mehr Ressourcen haben und dass die auch bei kritischen Einsatzlagen zuerst gerufen werden und nicht die Polizei. Was wir von der Polizei wissen, ist ja, dass die hochgradig Probleme haben, mit psychisch Kranken umzugehen. Wenn Leute von der Polizei erschossen werden, dann ist es meistens so, dass diese Leute psychische Probleme oder psychotische Episoden in irgendeiner Form hatten. Das ist eines der größten Probleme, warum polizeiliche Gewalt oft mit Todesfolge endet. Nicht nur daraus folgt, dass man die Polizei nach britischem Vorbild entwaffnen muss. Ich finde das unmöglich, dass Streifenpolizist*innen Schusswaffen bei sich haben, das brauchen die nicht. Wenn das SEK Schusswaffen hat, mein Gott, kann ich mit leben, aber der*die Streifenpolizist*in braucht keine Schusswaffe. Oder Bereitschaftspolizist*innen bei Demos, die mit Schusswaffen herumrennen, das ist ja Wahnsinn, da kann man echt froh sein, dass überhaupt noch nie etwas passiert ist – oder zumindest schon lange nicht mehr.
Das sind Dinge, über die wir reden müssen und ich finde es sehr schwierig, dass immer so stark auf diese individuelle Ebene geschaut wird und dass dann also mit Diversitytrainings, mit Antidiskriminierungstrainings, mit Diversitybeauftragten in der Polizei geantwortet wird auf Rassismus in der Polizei. Ja, das braucht es auch, aber das behebt das Problem deswegen nicht, weil die Leute, die diese Trainings in Anspruch nehmen, die sind, die sie nicht brauchen. Das ist immer so: die Polizist*innen, die man bei solchen Trainings trifft, die sind meistens keine Rassist*innen. Also die haben natürlich wie alle anderen irgendwelche Formen von internalisierten Rassismen, das hilft denen schon und das schadet denen auch nicht, wenn die da hin gehen. Aber die, die es wirklich bräuchten, die gehen da nicht hin. Also man müsste das verpflichtend machen. Und das kennt man aus der Managementforschung tatsächlich, verpflichtende Antirassimustrainings wirken oft gegenteilig, da verbohren sich Leute, die manifest rassistisch sind, noch mehr, also das bringt bei denen gar nichts.
Also muss man an den institutionellen Ebenen was ändern, an den strukturellen Ebenen. Ich bin ein bisschen skeptisch was die Abschaffung von Gewaltarbeit generell angeht, also ich glaube, dass Gewaltarbeit ein problematisches Feld ist, das uns bleiben wird, auch in postkapitalistischen Gesellschaften. Man wird sich fragen müssen, wie gehen wir mit der Anwendung von Gewalt gegen Menschen um, weil sie in manchen Fällen notwendig ist. Das heißt, wir haben hier ein ganz grundsätzliches Problem, das sich nicht nur auf die Polizei im kapitalistischen Nationalstaat bezieht. Aber man muss diese Gewaltarbeit, und das gilt auch jetzt schon, so weit wie möglich beschränken, für die Polizei auch. Und sie findet in vielen Bereichen statt, wo sie nicht nur unnötig ist, sondern schädlich. Und ich glaube, das muss das Ziel sein. Das ist unter dem Schlagwort »Defund the Police« ja auch sehr vernünftig eingeführt worden und wird ja in den USA auch gemacht. Ganz abgesehen davon, dass es übrigens auch viel billiger ist. Das kostet die Kommunen und Länder richtig viel Geld, Polizei ist unheimlich teuer – weit teurer als Suchtkliniken, Street Work oder Druckräume.
Wo ließe sich denn aus linksradikaler Perspektive ganz konkret politisch am Polizeiproblem ansetzen?
Grundsätzlich bin ich solidarisch mit vielen abolitionistischen Perspektiven, die eine Abschaffung der Polizei fordern. Allerdings finde ich problematisch, dass dann häufig als Alternativvorschlag Formen von community policing eingeführt werden. Community policing gibt es schon seit 20, 30 Jahren und ich würde das als neoliberale Maßnahme diskutieren. Dass also Nachbarschaften sich gegenseitig polizieren: die eine passt auf den anderen auf. Das klingt sehr romantisch, aber wenn man sich vorstellt, man wohnt z.B. auf dem bayerischen Dorf, dann klingt das wie eine Drohung. Ich will nicht von meinem Nachbarn poliziert werden. Ich bin auch der Meinung, dass in einer kommunistischen Gesellschaft die Anwendung von Gewalt, sofern sie notwendig ist, von Leuten gemacht wird, die verantwortlich sind, die ich nicht kenne, die also keine Vorbehalte mir gegenüber haben, weil sie meine Nachbar*innen sind, die aber gleichzeitig eine gewisse Accountability haben. Wo man also prüfen kann, ob sie etwa zu hart vorgegangen sind oder wie auch immer und damit dann entsprechend umgehen kann. Ich halte es für sehr viel sinnvoller zu schauen, wo man denn die Polizei schonmal grundsätzlich rausdrängen kann, bevor wir uns fragen, wie wir mit den unumgänglichen Fällen von Gewaltarbeit umgehen. Also bevor wir uns über die komplette Abschaffung der Gewaltarbeit Gedanken machen, sollten wir uns erst einmal fragen, wo ist sie denn unnötig? Ich denke, dass wir 95 Pozent dessen, was die Polizei macht, bereits abschaffen können. Ohne Probleme. Polizei braucht es in so vielen Bereichen nicht. Erstens ist das auch gegenüber Nicht-Linken sehr gut vermittelbar, zweitens ist das unmittelbar umsetzbar. Selbst wenn man vergleichsweise radikale Forderungen stellt, wären die selbst unter kapitalistischen Verhältnissen bereits umsetzbar. Die abolitionistischen Bewegungen in den USA machen es vor. Für eine linke Kritik ist es außerdem sinnvoll, gar nicht mal so sehr auf die Polizei zu fokussieren, sondern auch auf das Feld, in dem sie tätig ist und da dann zu schauen, wie kann man das so strukturieren, dass die Polizei dann da rausfällt. Betäubungsmittel sind ein Feld, wo das sehr gut zu machen wäre. Da kann man eine Entkriminalisierung von Betäubungsmitteln fordern, ohne je Bezug zu nehmen zur Polizei und es würde aber das Leben der Betroffenen sehr stark verbessern – und zwar nicht nur derjenigen, die Betäubungsmittel konsumieren, sondern auch der Leute, die unter racial profiling leiden, weil die Polizei ihr racial profiling häufig mit der Suche nach Betäubungsmitteln legitimiert. Das heißt, man muss sich, denke ich, auch als Linke*r andere Felder stärker vorknöpfen und fragen, wo ist denn die Polizei eigentlich immer drin, wo sie nicht hingehört? Das wären z.B. solche Fälle wie Drogen, Sexarbeit oder Wohnungslosigkeit.
Hannes Kerger promovierte im Fach Kriminologie und verdingt sich im Süden Münchens als freier Autor und Gärtner.