Ein Interview mit Veronika Kracher über virtuelle rechte Räume und physischen rechten Terror.
Das Internet und speziell soziale Medien sind ein wichtiger rechter Resonanzraum. Zwar wird immer mal wieder darüber berichtet wie etwa Alt-Right-Leute Trumps Wahlkampf mit Memes vorantreiben und Social Media als Schauplatz für einen Kulturkampf nutzen, oder wie sich über Discord rechte »Trollfabriken« und Shitstormkampagnen organisieren. Das Internet spielt aber auch eine relevante Rolle für aktuelle Formen rechten Terrors und das nicht nur weil sich dort Bombenanleitungen finden lassen oder im Darknet Waffen bestellt werden können. Weil es schwierig ist, da den Überblick zu behalten, haben wir mit der Journalistin Veronika Kracher gesprochen.
Nach den rechten Terroranschlägen von Christchurch und Halle wurden Imageboards zum Thema, weil die Täter ihre Attacken auf 8chan, einem mittlerweile geschlossenen Board, angekündigt haben. Was müssen wir uns unter diesen Imageboards vorstellen und welche Bedeutung haben sie für extreme Rechte?
Imageboards funktionieren grundsätzlich erstmal so: Man lädt ein Bild oder einen Text hoch und andere Leute können das kommentieren. Es wird keine Registrierung verlangt, sodass die User anonym sind, weshalb sie sich mit »Anon« ansprechen. Darauf hat auch der Attentäter von Halle rekurriert.
Das 2003 gegründete Imageboard 4chan kam ursprünglich aus einer Anime-Videospiel-Geek-Culture und war auch für diese Inhalte bekannt. Relativ wichtig war dem Begründer das Prinzip der free speech, also der freien Meinungsäußerung. Das wurde jedoch relativ schnell genutzt, um auf dem Forum rassistische, antisemitische, frauenverachtende Inhalte zu verbreiten. 4chan war ein Board, das auch durch seine anarchische Struktur sehr viel originalen Content kreiert hat. Zunächst war das wie ein Club für 15-jährige Edge-Lords, vielleicht vorstellbar als eines von diesen Baumhäusern mit einem »No Girls Allowed«-Schild davor und über die Jahre wurde es dann zunehmend gefährlicher: Zum Einen hat sich die INCEL-Community unter anderem auf 4chan entwickelt. Zum anderen war das Unterboard »politically incorrect« ein wichtiger Ort, an dem sich die Alt-Right-Bewegung etabliert hat und auch bei der misogynen GamerGate-Kampagne hat 4chan eine große Rolle gespielt.
Das noch krassere Äquivalent ist das Board 8chan oder jetzt 8kun, dessen ursprünglicher Gründer sich auch selbst von dem Board distanziert hat. Da sind Leute hin, denen 4chan irgendwann zu sehr zensiert wurde und wenn man auf 8kun geht sieht man durchaus mal als Erstes Werbung für einen Nazi-Versandshop mit Reichsadler und SS als Titelbild. Es gibt auch ein deutsches Äquivalent, das nennt sich »Kohlchan« und das ist der ekligste Ort im Internet, ein Mittelding aus Nazi- und INCEL-Forum, wo im Großen und Ganzen dieser englische Jargon 1:1 ins Deutsche übertragen wird. Generell sind das alles Orte, wo freie Meinungsäußerung dazu genutzt wird, den Holocaust leugnen zu können, Pädosexualität zu verteidigen oder das N-Wort zu benutzen. Und die Grenze zwischen Trolling und ernsthafter Menschenfeindlichkeit verschwimmt da auch häufiger.
In Aufnahmen von Trump-Rallys sind häufig Leute zu sehen, die mit Q-Schildern oder -Shirts auf die QAnon-Bewegung Bezug nehmen. Hierzulande ist dieser Verschwörungsmythos etwa im Umfeld der „Coronarebellen“ populär, besonders Xavier Naidoo und Attila Hildmann haben sich ja damit hervorgetan. Das Ganze ist auf 4chan und später 8chan groß geworden. Um aber so eine Reichweite zu kriegen, kann sich das Ganze doch nicht nur in solchen Foren abspielen? Wie verbreiten sich die Inhalte über die Bords hinaus?
Memes generell folgen einer »trickle-down-economy«: Es wird Content auf obskuren Boards wie 4chan generiert, dann auf Reddit verbreitet und von Reddit gelangt es auf weniger obskure Boards wie Tumblr, Facebook und Twitter. 4chan-User regen sich übrigens immer darüber auf, dass deren Memes jetzt von »Normies« verbreitet und »beschmutzt« werden.
Bei QAnon ist die Verbreitung eine interessante Sache: QAnon fing um 2017 herum an, aber der Grundgedanke, dass pädophile, satanistische, jüdisch konnotierte Eliten den Deep State der amerikanischen Regierung aufziehen, der wurde schon 2016 von beispielsweise Alex Jones erwähnt, dem Betreiber von »Infowars«. QAnon besteht mittlerweile aus Leuten, die jeden Post, auch wenn er nur aus kryptischen Nummern besteht, auseinandernehmen und versuchen da die »Lösung« zu finden. Die Lösung ist aber immer schon vorgegeben: Es hat immer irgendwas mit satanistischen Eliten und Trump als dem Erlöser und Heilsbringer zu tun.
Eine Besonderheit von QAnon besteht darin, dass die Inhalte häufiger von prominenten US-amerikanischen Rechten öffentlich gemacht wurden: Alex Jones hat wie gesagt beim ersten Post eine große Rolle gespielt und auch Donald Trump selbst hat auf Rally-Teilnehmer mit QAnon-Schildern gezeigt. Inzwischen ist QAnon zu einem wichtigen Teil der US-amerikanischen Rechten und generell weltweiter rechten Verschwörungsideologien geworden. In dem Fall hat nicht nur eine trickle-down-meme-economy gegriffen, sondern das QAnon-Narrativ wurde aktiv von rechten Influencern gepusht. In Deutschland hat man unter anderem Xavier Naidoo und Attila Hildmann, die QAnon verbreitet haben.
Bei mehreren der rechten Anschläge der letzten Monate hat Antifeminismus oder besser gesagt der Hass auf Frauen eine große Rolle gespielt. Du hast dich ja mit Incels beschäftigt. Incel ist eine Wortzusammensetzung aus involuntary und celibate, also unfreiwilliges Zölibat, und ist eine Selbstbezeichnung einer Szene aus gekränkten Typen, die Frauen abwerten und aggressiv ein Recht auf Sex einfordern. Für wie relevant hältst du diese Szene aktuell und was sind denn weitere wichtige Vertreter in der „Manosphere“ des Internets?
Die Manosphere agiert ja mit dem Begriff der »Red Pill« – also man schluckt die rote Pille und sieht dann, dass der Mann das eigentlich unterdrückte Geschlecht ist, vor allem der weiße, heterosexuelle cis-Mann. Demnach leben wir auch in einem »Feminat«, in dem Männer eigentlich die ganze Zeit von falschen Vergewaltigungsvorwürfen und Scheidungen bedroht werden und von der Tatsache, dass jetzt Diskriminierungsgesetze kommen, nach denen man Frauen nicht einmal mehr anschauen darf. Kern sind also diese ganzen antifeministischen Narrative. Generell wird der Mann durch die »PC-Agenda«, die immer jüdisch konnotiert ist, und durch den Kulturmarxismus, was ja auch eine antisemitische Chiffre ist, total verweichlicht, weshalb er sich auch nicht gegen dieses »Feminat« wehren kann. Er muss sich daher in der Manosphere zusammenrotten, mit anderen Männern vernetzen und seine ursprüngliche Männlichkeit wiederfinden. Wichtig dafür sind zum Beispiel Pickup-Artists, die Frauen emotional, sexuell und psychisch manipulieren, um sie ins Bett zu kriegen und ihnen zu zeigen, dass ihr Ort auf den Knien vorm Mann ist. Daneben gibt es MGTOWs, also »Men Going Their Own Way« und das sind Männer, die sagen, Frauen seien das total Böse und eigentlich müssten sie sich generell von Frauen emanzipieren und in den Männerbund zurückziehen – aber natürlich »no homo«. Sie sehen Frauen als Wurzel allen Übels und wollen keinen längerfristigen Kontakt mehr zu Frauen haben. Diese Gruppen fallen unter den Schirm des »Mans Rights Activism« und in Deutschland sind das Gruppen wie WikiMANNia (die Macher des maskulinistischen Wikipedias) oder Einzelpersonen wie Hagen Drell oder Birgit Kelle. Mans Rights Activists finden sich aber auch zuhauf in der AfD oder bei christlichen Fundamentalisten wieder.
Zuletzt gibt es noch INCELs, die aber eine »Black Pill«-Ideologie vertreten. Mit den Red Pillern teilen sie sich die Ansicht, dass Frauen die Welt beherrschen und Männer das unterdrückte Geschlecht sind. Aber während Red Piller sagen, sie könnten durch die Entdeckung ihrer natürlichen Männlichkeit das Game gewinnen und Frauen dazu bringen, ihnen wieder untertan und sexuell gefügig zu werden, sind INCELs der Ansicht: »Ich bin so hässlich, für mich ist der Zug abgefahren. Denn diese Welt basiert auf dem Prinzip des Lookismus, was die einzig existierende Diskriminierungform ist. Das heißt, hässliche Menschen werden unterdrückt und ich als INCEL bin der hässlichste und bin deshalb total unterdrückt, daher wird eine Frau, egal welche Pickup-Technik ich anwende, niemals Sex mit mir haben. Frauen haben nur Sex mit super attraktiven Typen, weshalb ich keinen Sex habe, obwohl ich ihn eigentlich verdienen würde. Ergo müssen Frauen bestraft werden.«
Das Internet spielt also nicht nur eine große Rolle für die extreme Rechte, sie scheinen sich dort auch sehr erfolgreich zu bewegen. Meinst du, das folgt vor allem aus einer Strategie in rechten Kreisen, die unendlich scheinenden Vernetzungsmöglichkeiten für ihre Zwecke einzusetzen (und dass sie das besonders geschickt anstellen) oder lässt es sich vielleicht aus den Plattformen selbst erklären?
Ich würde sagen: teils, teils. Natürlich versuchen Rechte aktive Online-Strategien zu entwickeln. Ein deutliches Beispiel dafür ist der Reconquista Germanica-Server, der auf dem Videospiel-Chatserver Discord etabliert wurde, wo ganz konkret Online-Attacken gegen politische Gegner*innen geplant worden sind. Dieser Server war genau strukturiert: Es gab Leute, die gescoutet haben wen man angreifen könnte, die Shitstorms initiiert haben, Troll-Armeen, etc.
Imageboards wie 4chan oder 8kun sind viel loser vernetzt, aber es sind trotzdem Echokammern für menschenfeindliche Ideologien. Wenn jemand gruppenbezogen menschenfeindliche Aussagen tätigt, kommt kein Widerspruch, sondern man versucht eher, sich in seinem Zynismus zu übertrumpfen. INCEL-Foren sind sowieso die toxischsten aller Echokammern und auch für die User selbst wirklich gefährlich. Es gibt ein INCEL-Forum, das heißt lookism.net, wo sich die sogenannte »Looksmax-Community« trifft. Das sind INCELs, die versuchen sich durch plastische Chirurgie attraktiver zu machen. Nachdem sie sich unters Messer gelegt haben, um mehr wie ein »Chad« auszusehen, laden sie Fotos hoch und fordern Bewertungen. Ganz unabhängig davon, wie die nun aussehen, wird ihnen immer nur gesagt, sie müssen dieses und jenes verändern, so dass die User überhaupt keine Möglichkeit haben, positive Beziehungen zum eigenen Ich zu entwickeln. Diese Foren sind selbst dann, wenn keine konkrete Vernetzung stattfindet, Orte, an denen rechtes Gedankengut wachsen und aus denen eine rechte Organisation entstehen kann. Mitglieder von akzelerationistischen Terrorgruppen, die überall auf der Welt verteilt sind, lernen sich über diese Foren kennen und vernetzen sich dort, wie im Falle der Feuerkrieg-Division, die vor ein paar Monaten aufgedeckt wurde. Da kamen die Mitglieder aus dem Baltikum, aus Deutschland, aus den USA. Was meiner Ansicht nach auch eine Rolle bei der Online-Vernetzung spielt ist der Versuch von Rechten, in einer Gaming-Community wie Steam oder bei Online-Spielen aktiv Vernetzungsarbeit zu betreiben. Die AfD und die Identitäre Bewegung haben Gruppen auf Steam, wobei dort die Rekrutierung nur mäßig funktioniert zu haben scheint. Trotzdem hat man in der Gaming-Community oft gruppenbezogen menschenfeindliche Tendenzen, eben weil es eine Community junger Männer ist.
Was findest du denn persönlich noch einen erwähnenswerten Aspekt zum Zusammenhang von Internet, rechter Ideologie und Gewalt?
Sowohl bei 4chan, als auch bei INCEL-Foren, als auch bei 8kun ist dieser Nihilismus, dieser Zynismus, diese Emotionslosigkeit, dieses über alles lachen sehr stark. Ich finde, das ist etwas sehr Bedenkliches, da es eine Form von Emotionalität vom User abspaltet, auf Verrohung abzielt und andere dehumanisiert. Gerade bei INCEL-Foren werden Frauen immer dehumanisiert: Sie werden als »It« bezeichnet und mit Begriffen wie »Femoid«, »Hole«, also Loch, oder »Toilet« tituliert. Klaus Theweleit schreibt in »Das Lachen der Täter«, dass die Dehumanisierung des Opfers und der eigenen Person bzw. die Verharschung der eigenen Person für einen Mord und für einen Terrorakt unumgänglich sind. Auch wenn nicht jede Person, die auf 8kun rumhängt, der nächste Brenton Tarrant wird, ist diese Atmosphäre eine, die zumindest schon mal den Ansatz für eine Menschenfeindlichkeit legt: Sie verlangt dieses permanente, gewalttätige Abspalten von Gefühlen, sie sanktioniert Emotionalität, die User verharschen, verkalten, verrohen und das fügt auf Dauer längerfristige psychische Schäden zu, würde ich sagen. In der Verrohung und der Gefühllosigkeit ist der Ansatz zur Menschenfeindlichkeit angelegt und in diesen Foren wird genau das zelebriert, was ich für eine enorme Gefahr halte.
Veronika Kracher ist Journalistin und schreibt u.a. für „konkret“, „Jungle World“ und „Neues Deutschland“. Sie arbeitet schwerpunktmäßig zu INCELs, Imageboards und Rechtsterrorismus. Im September 2020 erscheint im Ventil Verlag ihr Buch „Incels – Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults“.