Ein Gespräch mit dem Münchner AIDA-Archiv
Seit 30 Jahren gibt es in München die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle e.V. (kurz: AIDA e.V.). Wir haben uns mit Aktiven des Archivs über ihre Entstehungsgeschichte und ihre Arbeit sowie die Wichtigkeit antifaschistischer Archive im Allgemeinen unterhalten.
Zunächst wäre es schön, wenn ihr uns etwas zur Entstehungsgeschichte des Aida-Archives erzählen könntet?
Seit dem Ende der 80er Jahre haben auch in München Antifaschist*innen Informationen zur extremen Rechten gesammelt, mit den Jahren ist es immer mehr Material geworden. Um eine Kontinuität und auch eine Zugänglichkeit dieser Sammlung sicherzustellen, haben die damals aktiven Antifaschist*innen – die zum Teil bis heute im Archiv aktiv sind – einen Verein gegründet. Das ist natürlich für eine linke Gruppe eher ungewöhnlich, aber so ist die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V. entstanden. Dieser Verein ist die Grundlage gewesen, sich um das damals bereits Gesammelte und das Weitersammeln zu kümmern. Das Projekt ist dann mit den Jahren immer weiter gewachsen und ist mittlerweile eine einigermaßen bekannte Institution. Wir haben Räume – die leider aus Sicherheitsgründen nicht öffentlich zugänglich sind – und eine stattliche Sammlung. Teilweise auch Sachen, die aus den Jahren vor dem Gründungsdatum sind.
Das heißt schwerpunktmäßig lag euer Fokus schon immer auf München?
Ja genau, unser Schwerpunkt lag schon immer auf München, demnach haben wir besonders viel zur extremen Rechten in München zusammengetragen. In den letzten Jahren hat es sich aber so gewandelt, dass wir Material aus ganz Bayern sammeln.
Könnt ihr einmal beschreiben worin genau ihr eure Arbeit seht?
Im Allgemeinen geht es darum, als Antifaschist*innen selber Material aufzuheben. Wir sammeln Informationen, Unterlagen und Veröffentlichungen aus der extremen Rechten. Zum Beispiel wenn das Leute in die Briefkästen geschmissen bekommen, was im Wahlkampf verteilt wird oder was wir im öffentlichen Stadtbild finden. Das archivieren wir, um Entwicklungen der extrem Rechten frühzeitig mitzubekommen oder besser analysieren zu können.
Ein weiterer wichtiger Punkt sind eigene Publikationen der antifaschistischen Bewegung, zum Beispiel Magazine und Zeitschriften. Dies ist insofern wichtig, da die wichtigsten und vielfältigsten Informationen in Form von Heften und Büchern analog sind und das wollen wir auch möglichst in Zukunft so gut zugänglich machen wie möglich. So haben wir immer Zugriff auf die Materialien, die wir benötigen und können selber Analysen treffen ohne uns auf offizielle und gewissermaßen staatliche Archive verlassen zu müssen.
Wir haben eine der größten Fachbibliotheken zur extremen Rechten. Zum einen, damit sich Antifaschist*innen die Bücher nicht selbst kaufen müssen, zum anderen können wir so auch vergriffene Bände zugänglich machen. Die Bücher kann man in der Fachinformationsstelle Rechtsextremismus in deren Bibliothekssaal lesen.
Könnt ihr konkrete Anlässe benennen, an denen sich zeigen lässt, wie wichtig antifaschistische Archive sind?
Jeden Tag sieht man, dass antifaschistische Analysen extrem wichtig sind. Sie spiegeln Situationen viel passender wieder und sind viel korrekter als das, was von staatlichen Organen und Geheimdiensten behauptet wird. Wenn man jetzt beispielsweise das extrem rechte „Institut für Staatspolitik“ anschaut: Seit der Gründung des IfS haben Antifas über 20 Jahre hinweg Artikel über das IfS geschrieben und es beobachtet. Und jetzt nach 21 Jahren kommt der Verfassungsschutz daher und klassifiziert das IfS für seine extrem rechten Positionen. Da sieht man auf der einen Seite den Vorteil eigener Analysen und Recherchen und auf der anderen Seite ist all das nur möglich mit der Arbeit von Archiven. Denn Antifaschist*innen, die jetzt aktiv sind, haben ja vielleicht die Gründung des Instituts für Staatspolitik gar nicht mitbekommen und können jetzt von den Analysen, Recherchen, Literatur und Büchern, die es über das IfS gibt und zum Beispiel bei uns im Archiv zugänglich sind, profitieren.
Aber das anschaulichste wie dramatischste Beispiel, die Wichtigkeit aufgehobenen Materials zu zeigen, ist ganz klar der NSU-Komplex. Nach dem Schock 2011 – selber blind gewesen zu sein – war es natürlich so, dass man sich seither die Neonazi-Szene der 1990er Jahre noch mal neu vorgenommen hat und das ist eine Zeit bevor das Internet populär war. Das heißt, alle Zeugnisse der damaligen Neonazi-Szene, die es noch gibt, sind Printversionen oder es sind antifaschistische Beobachtungen, Artikel, etc. über die Neonazi-Sene der 1990er Jahre – da musste man jetzt ran. Ohne antifaschistische Archive wäre das völlig unmöglich gewesen. Nur weil unsere Vorgänger*innen in den 1980er und 1990er Jahren einen enormen Aufwand betrieben haben, um Material der Neonazi-Szene in die Finger zu bekommen und weil andere es Jahrzehnte lang aufgehoben haben, konnte man 2011 eigene Analysen zu den NSU-Netzwerken in der Form und Qualität überhaupt machen. Die Arbeit zum NSU-Komplex, aber auch die Hilfestellungen für die Nebenklagevertreter*innen und die Arbeit mit den Betroffenen, ist nur deshalb möglich gewesen, weil Antifas damals viel aufgehoben haben. Das ist ein bitterer Anlass, der aber auch ganz genau zeigt, wie wichtig das Aufheben von Materialien über die extreme Rechte, aber eben auch der eigenen Veröffentlichungen, ist. Gleichzeitig bleibt natürlich der Schock, Angehörigen und Betroffenen nicht zugehört zu haben.
Und gerade auch jetzt, wenn man sich das erstarken der AfD anschaut, beruht einiges unserer Analysen über deren Strategien auf dem, was wir aus der jahrzehntelangen Beschäftigung mit neuer Rechter und faschistischen Bewegungen kennen. Und wenn es jetzt zum Beispiel darum geht, Personen oder Netzwerke innerhalb der AfD zu charakterisieren, dann ist es natürlich schon sehr hilfreich zu wissen, was die ggf. vor der Gründung der AfD gemacht haben. Also z.B. aus welchen Burschenschaften die kommen oder ähnliches. Und da ist es natürlich total wichtig Archive wie uns zu haben, die diese Materialien aufheben. Das gilt bis heute, damit wir in späteren Analysen eben genau darauf zurückgreifen können.
Warum ist auch das Sammeln und Aufbewahren von antifaschistischen Publikationen so wichtig?
Vor allem auch deswegen, da es ja eine hohe Fluktation von Gruppen und Strukturen gibt (das ist ja kein Geheimnis) und so kann Wissen schnell verloren gehen. Und was noch wichtig zu sagen wäre: Vor allem Wissen aus Dörfern und kleineren Städten in Bayern geht schnell verloren, auch gerade weil wir da natürlich viel weniger mitbekommen. Daher freuen wir uns auch immer ganz besonders, wenn es ausserhalb von Großstädten aktive Antifas gibt, die uns regelmäßig Stuff zukommen lassen.
Ihr seid ja ein kleiner Verein mit Ehrenamtlichen, was gibt es denn für Möglichkeiten euch zu unterstützen?
Eine der Besonderheiten von AIDA ist, dass es ein selbstfinanziertes Projekt ist, die Akteur*innen bei AIDA haben viel eigene Mittel in das Projekt gesteckt und es gibt Geldspenden von Unterstützer*innen. Somit ist über die Jahre hinweg eine finanzielle Unabhängigkeit entstanden – sei es von Stiftungen oder gar staatlichen Stellen.
Es gibt nur noch wenige antifaschistische Archive in Deutschland und es ist wichtig, dass diese weiter existieren. Wir freuen uns natürlich immer über finanzielle Unterstützung aus der antifaschistischen Bewegung, wobei uns natürlich bewusst ist, dass auch immer Geld für andere wichtige Sachen, wie beispielsweise Antirepressionsarbeit, gebraucht wird.
Das heißt ihr freut euch, wenn es auf der nächsten Soliparty (wenn es die dann hoffentlich in After-Corona Zeiten wieder gibt) eventuell mal einen Soli-Schnaps gibt und die Einnahmen daraus an das Archiv gehen?
So kann man das natürlich auch sagen.
Was hilft euch denn sonst noch weiter außer finanzieller Unterstützung?
Uns ist wichtig zu betonen, dass wir keine Recherchegruppe sind, als die wir oft wahrgenommen werden, sondern ein Archiv. Das heißt auch, wir freuen uns über Nachlässe, also Bücher aus der extremen Rechten, aber auch antifaschistische Schriften. Wir freuen uns, wenn uns Antifaschist*innen Material geben, dass sich bei ihnen angehäuft hat. Und ganz besonders wichtig sind Informationen aus der Öffentlichkeit, also von der rechten Zeitschrift, die Menschen zufällig in ihrem Briefkasten finden, Fotos, die man von nem AfD-Stand gemacht hat, verschwörungsideologische Aufkleber, die man abgekratzt hat, bis zum Prozesstermin, den man mitbekommt. Das sind alles Infos, die super wichtig sind und über die wir uns sehr freuen. Denn nur alles was uns mal zur Verfügung gestellt wird kann dann auch irgendwann mal wiedergefunden werden und als Quelle dienen.
Vielen Dank für das Interview und unsere tiefste Dankbarkeit für die unermüdliche und enorm wichtige Arbeit, die ihr als Archiv in den letzten 30 Jahren geleistet habt!
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