Einschätzung der NIKA-Kampagne zu der „Querdenken“-Demonstration in Leipzig vom 7. November 2020
Was sich am Samstag in Leipzig abspielte, war selbst für sächsische Verhältnisse erschütternd. Ein Sammelsurium aus „besorgten“ Bürger*innen, verstrahlten Esos & Hippies, abgedrehten Q-Anon Fans, Verschwörungstheoretiker*innen und anderen Antisemit*innen, AfD-Wähler*innen und reihenweise gewaltbereiter Neonazis sowie rechten Hooligans versammelten sich in der Leipziger Innenstadt. Am Abend vorher kippte das OVG Bautzen noch die Auflage, diese bedrohliche Mischpoke nicht in die Innenstadt einzuladen, da dort keine Abstände eingehalten werden können. Dass auf der „Querdenken“-Veranstaltung dann tatsächlich kaum jemand eine Maske trug, ist wenig verwunderlich. Auch dass im zuständigen Oberverwaltungsgericht Bautzen Richter arbeiten, die das Coronavirus als „gewöhnliche Grippe“ verharmlosen, war schon bekannt. Dass die Polizei gegenüber Rechten besondere Sympathien und daher eine entsprechende Beißhemmung hat, ist ebenfalls nicht neu. Aber das Ausmaß der staatichen Kapitulation vor dem Mob überrascht dann doch. Der Leipziger Polizeipräsident selbst hat inzwischen erklärt, dass man – massive Auflagenverstöße hin, Übergriffe auf Journalisten und Andersdenkende her – die Demo nicht stoppen wollte. Das zeigt: Samstag war kein „Planungsdesaster“. Die staatlich Verantwortlichen hatten schlicht kein Interesse daran, den konformistischen Rebbellen etwas entgegen zusetzen. Das sollten wir uns merken.
Falsche Freiheit und autoritäre Revolte
Die „Querdenken“-Bewegung ist eine reaktionäre Scheinrevolte. Rebelliert wird nicht etwa gegen die sozialen Ungerechtigkeiten, die die pandemische Krise schmerzlich zuspitzt oder auch nur gegen die ungerechte Verteilung der Einschränkungen. Im Gegenteil: Es geht bloß um eins – die (ungestörte) Freiheit zur Rücksichtslosigkeit gegen Schwächere. Sie wird keinweswegs zufällig immer lauter mit der nationalistischen Forderung nach einer falschen Form von Gemeinschaft, „Deutschlands Freiheit“, ergänzt. Die sozialen Konflikte werden als von außen kommend beziehungsweise von einer kleinen, geheimen Gruppe verursacht gesehen. Dabei knüpft man gerne an populäre nationale Mythen an. So wurde im Vorfeld der Demonstration ein zweiter Mauerfall beschwört, der in dem „Ende der Merkel-Diktatur“ seine aktuelle Erscheinung finden sollte. Seltsam genug – die Leugnung einer tödlichen Pandemie wird offenbar zum zentralen Element der autoritären Revolte. Übrigens – wie immer bei solchen Formen des rechten Aufbegehrens – fleißig hofiert von BILD & Co. Der Samstag hat jedenfalls gezeigt: Etwas anderes als ein neuartige faschistische Bewegung kann aus diesem Wahn nicht heraus kommen. Es macht keinen Sinn noch drum herum zu reden: Wer immer wieder und ohne Probleme mit Menschen demonstriert, die einen Friedensvertrag des deutschen Reichs mit Trump-Amerika fordern ist kein Rebell, sondern ein Steigbügelhalter des Faschismus – und sollte auch so behandelt werden. Das kann schnell konkret werden. Denn „Querdenken“ funktioniert arbeitsteilig – aufgeteilt in Planung, Organisation, IT, Logistik, Marketing, den eigenen Merchandising sowie den Aufgaben von Fundraising und juristischer Beratung für die Auseinandersetzung mit Versammlungsbehörden und Gerichten. Viele Ansatzpunkte für eine kritsiche Öffentlichkeit.
Alles muss man selber machen
Was ist passiert? Kurzer Rückblick: Schon nach einigen Stunden eskalierte die Situation in der Innenstadt. Die Polizei ließ sich nach der Auflösung der Kundgebung von den wildgewordenen Schwurbler*innen treiben und schritt auch nicht ein, als Jagden auf Journalist*innen und Prügelattacken von Nazis folgten. Antifaschistischer Protest war zwar vorhanden, aber zu klein: Ein rechter Autokorso musste umgeleitet werden, da es Blockaden gab. Auch später verhinderten nur aktive Antifaschist*innen, dass die Rechten ihre komplette Runde über den symbolträchtigen Leipziger Innenstadtring drehen konnten. Dass ein entglaster Reisebus der Rechten eine ungemütliche Nacht hatte, und einzelne Nazis offenbar körperlich nicht ganz unversehrt aus der Nummer rauskamen, war ebenfalls Ausdruck antifaschistischer Gegenwehr. Dass die Wut über das Vorgehen der Polizei später am Abend in Connewitz noch handfester wurde, kann auch nicht wirklich überraschen. Bezeichnend allerdings, wie schnell die Polizei hier den Einsatz aller möglicher Zwangsmittel, inklusive Wasserwerfer, für geboten hielt – noch wenige Stunden vorher hatte sie schließlich jedes entschiedenere Vorgehen gegenüber den gewalttätigen Mob der Rechten für „unverhältnismäßig“ erklärt. Am Donnerstag wurde zuvor Lina vom LKA inhaftiert. Ihr wird vorgeworfen Angriffe auf Neonazis geplant und an diesen beteiligt gewesen zu sein. 129er-Verfahren (Bildung einer kriminellen Vereinigung) haben in Leipzig Hochkonjunktur. Hingegen fühlt man sich von den Übergriffen der Rechten weder selbst bedroht noch als Rechtsstaat heraus gefordert. Sachsen ist manchmal wirklich seine eigene Karrikatur – in schlecht.
Wie jetzt weiter machen? Wir sehen zwei Punkte.
Erstens: Die Frage nach den richtigen Maßnahmen zur Bekämpfung der steigenden Coronazahlen ist eine politische – und welche Interessen zu systemrelevanten Bedürfnissen erklärt werden hängt auch von uns ab. Das heißt: Ob nun Bars oder Fabriken geöffnet, Shoppingmalls oder Schwimmbäder geschlossen, Demonstrationen oder Sammelunterkünfte verboten werden – und ob im Ergebnis alleinerziehende Mütter, in Sammellagern isolierte Geflüchtete oder gut betuchte Aktienbesitzer die Hauptlast der Seuchenbekämpfung tragen müssen, könnte Gegenstand der öffentlichen Debatte werden. Hier sollten wir ansetzen. Denn die größten Coronapartys finden weiterhin nicht im Privaten statt, sondern staatlich erwünscht: jeden Tag in Großraumbüros, Amazon-Centern und den Fabriken des Landes, sowie, nicht zu vergessen, in Geflüchtetenunterkünften und Sammelunterkünften, wo der Staat die unerwünschten Menschen zusammenpfercht. Was wirklich helfen würde – die Unterbrechung des Normalbetriebes – ist jedoch schwer umstritten. Genau diese Unterbrechung des wirtschaftlichen Normalbetrieben, bezahlt von seinen Profiteuren, wäre aber die nötige Alternative zur rechten Menschenfeindlichkeit wie zur neoliberalen Seuchenverwaltung.
Zweitens: Trotz Eskalation der Infektionszahlen, schweren Verläufe und Erkrankungen sowie der schlechten Presse nach der Demo Ende August in Berlin ist die Mobilisierung von Corona-Pegida offenbar ungebrochen. So abstrus es ist und so marginal die „Corona-Rebellen“ gesamtgesellschaftlich bisher auch weiterhin sind, geht davon direkt wie indirekt eine massive Gefahr aus. Die nächsten bundesweiten Großmobilisierungen der Corona-Fasch haben daher entsprechende bundesweite Gegenmobilisierungen von antifaschistischer Seite verdient. Auch wenn es in Zeiten von Corona noch etwas ungenehmer wirken mag als sonst, sich den Rechten auf der Straße entgegen zu stellen: Nur so werden wir ihrem Spuk ein Ende machen können.